Der zögernde Schwertkämpfer
Füße waren vollkommen vergessen, als er die Stufen hinabrannte und zum Tempel raste, um Honakura zu suchen.
Die Hitze war ungeheuerlich. Jeder Tag schien noch heißer als der vorhergegangene zu sein, und jetzt züngelten unsichtbare Flammen über das Gelände und versengten Wallies Fleisch bis auf die Knochen, wann immer ihn sein Weg ins grelle Sonnenlicht führte. Im Tempel wurde er wieder einmal durch die dämmerigen Flure in den schattigen, überwucherten Innenhof geführt, doch auch dort hatte man das Gefühl, sich in einem stickigen Ofen zu befinden. Die Riemen seines Schwertgeschirrs klebten ihm an der Haut. Nach ein paar Minuten kam der kleine Priester hereingeeilt; sein blaues Gewand war fleckig von Schweiß, wie zum Beweis, daß derjenige, der darin steckte, noch nicht vollkommen mumifiziert war.
Heute wurde auf die höflichen Gemeinplätze nach der Begrüßung verzichtet. Kaum hatten die beiden Männer auf dem Hocker und dem Korbstuhl Platz genommen, platzte Wallie heraus: »Ich wollte, ich hätte den Job angenommen, den Ihr mir angeboten habt, und wenn auch nur für eine kurze Zeit.«
»Das läßt sich immer noch einrichten«, antwortete der Priester mit Bedacht.
»Es ist zu spät«, sagte Wallie. »Tarru ist mir zuvorgekommen. Er vereidigt die Wache durch den Blutschwur.«
Er legte dar, was auf einmal so offensichtlich geworden war. Ghaniri und Gorramini hatten nicht den zweiten Eid abgelegt – sondern den dritten. Nnanjis Prügel waren von Tarru bestellt gewesen, als Bestrafung dafür, daß er ehrlich war und eine Wette für seinen Gebieter gewonnen hatte.
Das Verhalten der Fünftstufler hatte sich geändert, denn auch sie waren zu Vasallen Tarrus geworden, vermutlich unter der Bedrohung eines auf sie gerichteten Schwerts. Wahrscheinlich bereuten sie es und fühlten sich schuldig. Deswegen waren sie nicht in der Lage gewesen, dem Blick eines Mannes standzuhalten, den sie möglicherweise auf unehrenhafte Weise würden töten müssen.
Tarru hatte nicht nur sämtliche von Wallies möglichen Zügen vorausgesehen und sie vereitelt, er hatte selbst einen unternommen – eine Meisterleistung. Unschlagbar! Bestimmt war er sogar in eben diesem Moment dabei, sich durch die verschiedenen Stufen nach unten zu arbeiten, und wenn er jeden einzelnen Mann innerhalb der Wache auf sich eingeschworen hatte, dann wäre er bereit, seine Falle zuschnappen zu lassen.
»Wenn ich jetzt irgendeinen Schritt unternehme«, schloß Wallie, »dann fordere ich einen Gegenschlag heraus. Ich kann nicht sagen, wie viele der Männer er bereits auf sich eingeschworen hat, aber ich nehme an, daß es genug sind. Die übrigen würden in erster Linie ihrem jeweiligen Mentor gehorchen. Ich wäre ein Oberster Anführer ohne einen einzigen Schwertkämpfer.«
Er machte ein finsteres Gesicht. »Ich könnte den Schuft jetzt nicht einmal umbringen. Vasallen sind verpflichtet, ihren Gebieter zu rächen. Verdammt! Verdammt! Verdammt!«
Honakura begriff sofort, wie immer. »Er hat sein neues Amt wirkungsvoll genutzt, mein Lord. Er läßt das Gefängnis und die Stallungen herrichten. Er hat die Wachen an den Toren verstärkt. Das mit den Stallungen verstehe ich, aber ich muß zugeben, daß ich über das Treiben im Gefängnis verblüfft bin.«
Wallie schnaubte durch die Nase und erklärte den Sachverhalt, obwohl selbst der alte Priester über seine Sorge um die einfachen Gefangenen staunte. »Was habt Ihr also jetzt vor, mein Lord?« fragte er.
»Das weiß ich nicht«, gab Wallie zu. »Stillzusitzen und zu warten, daß meine Füße heilen, denke ich. Es ist zu spät, um sich noch mit dem Gedanken an die Rekrutierung neuer Gefolgsleute zu tragen. Selbst wenn ich wüßte, welche Männer zuverlässig sind, sind diese vielleicht bereits durch den Blutschwur gebunden und unterliegen der Schweigepflicht. Dieser verdammte Schwur hat Vorrang vor allem anderen.«
»Aha!« sagte Honakura. »Dann müßt Ihr Euch also Gefolgsleute suchen, die keine Schwertkämpfer sind. Ich brauche sechs davon, das wißt Ihr doch?« Er unterbrach sich, als eine junge Priesterin hereingehuscht kam und ein Tablett auf dem Tisch zwischen ihnen abstellte; anschließend flatterte sie nervös zwischen den Bäumen hindurch wieder davon, wie ein weißer Schmetterling. »Sagt mir doch bitte Eure Meinung zu diesem Wein, mein Lord – er ist eine Spur süßer als der gestrige.«
Die Pokale waren diesmal aus Silber anstatt aus Kristall und die kleinen Kuchen üppiger und
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