Der zögernde Schwertkämpfer
ungläubig anzustarren. Ani blinzelte, dann straffte sie sich mit der Konzentration der Trunkenheit. Sie setzte ihren Weg fort, taumelnd zwischen den empörten Dinnergästen hindurch, den ganzen Balkon entlang, bis sie schließlich bei Wallie ankam. Sie gaffte ihn neugierig mit ihrem einen blutunterlaufenen Auge an und wiederholte: »Shonsu?«
»Ani!« sagte er und hielt immer noch die Arme ausgestreckt. Sie war riesig – fast so groß wie er, und bestimmt noch einmal halb so schwer. Sie grinste und enthüllte dabei braune Zahnstümpfe, dann umarmte sie ihn stürmisch. Es war wie der Angriff eines Wasserbetts.
Jetzt begriff Nnanji, was gespielt wurde. Mit einem entzückten Lächeln erhob er sich und bot ihr seinen Stuhl an. Ani ließ sich daraufplumpsen und beäugte den vornehmen Lord mißtrauisch. »Ich kenne Euch nicht!« sagte sie.
»Natürlich nicht«, sagte Wallie. »Aber das läßt sich ändern. Kellner – eine Karaffe vom besten für die Dame.«
Der Kellner rollte erschreckt die Augen. Jja verzog keine Miene, vielleicht weil sie das Ganze nicht verstand. Nnanji lief puterrot an, so sehr bemühte er sich, nicht loszukichern. Die hochrangigen Herren und ihre Begleiterinnen waren unschlüssig, ob sie angewidert oder nachsichtig sein sollten. In der unteren Ebene standen die jungen Kerle und gafften mit offenen Mündern herauf.
Ani versuchte zu begreifen. »Kenne ich Euch?« fragte sie lallend. Dann nahm sie einen großen Pokal mit Wein entgegen, kippte ihn in einem Zug hinunter und rülpste. Sie wandte sich wieder der Musterung Wallies zu. »Nein, ich kenne Euch wirklich nicht«, sagte sie. »Ihr seid kein Neuling, oder? Schade.« Sie streckte den Pokal zum Nachfüllen aus und bemerkte Nnanji. »Hallo, Rosti«, sagte sie. »Willst du’s nachher, wie immer?«
Nnanji wäre fast unter den Tisch gerutscht.
Nach dem dritten Glas schien sie für einen Moment nüchtern zu werden und zählte sichtbar Wallies Gesichtsmale. »Es tut mir leid, mein Lord«, murmelte sie. Sie versuchte aufzustehen, was ihr jedoch nicht gelang.
»Schon gut, Ani«, sagte Wallie. »Die Zweitstufler haben Euch dazu angestiftet, nicht wahr?«
Sie nickte.
»Wirst du Schwierigkeiten deswegen bekommen, Ani?«
Sie nickte wieder, dann strahlte sie auf und leerte den Pokal erneut. »Morgen!«
Wallie sah Nnanji an. »Wenn ich mit Ani dorthin verschwinde, wo immer du mit ihr zu verschwinden pflegst, dann ersparen wir ihr die Schwierigkeiten, oder nicht?«
Nnanji bestätigte das mit einem empörten, erstaunten und außerordentlich belustigten Gesichtsausdruck – alles zur gleichen Zeit. »Hinter dieser Tür gibt es mehrere Betten, mein Gebieter.«
»Eben!« sagte Wallie. »Bleib hier und kümmere dich eine Zeitlang um Jja.« Seinen Füßen stand eine große Belastung bevor, aber Ani war wahrscheinlich nicht mehr in der Lage, aus eigener Kraft zu laufen.
Er bückte sich leicht, schob die Arme unter sie und – nach einem bangen Moment, in dem das Gelingen in der Schwebe hing – hob sie hoch. Er trug sie hinaus, und wahrscheinlich hatte Shonsu niemals in seinem ganzen Leben seine Muskeln ärger strapaziert. Begeisterte Zurufe schallten von unten herauf.
Nnanji hatte recht gehabt. Hinter der Tür lag ein großer, schwach erleuchteter Raum mit sechs Betten darin. Eins davon, das in der hintersten Ecke stand, quietschte gewaltig, doch die anderen waren leer; eine einzelne Lampe spendete kaum Dämmerlicht. Wallie legte seine Last so sanft ab, wie er nur konnte, und rieb sich stöhnend den Rücken.
Ani lag da und starrte ihn mit ihrem einen weit aufgerissenen Auge an. Sie war nicht zu betrunken, um zu sehen, wie seine Finger in seinen Beutel fuhren. »Das ist nicht nötig, mein Lord. Ich bin umsonst.«
»Ich will heute nacht nichts von dir, Ani«, flüsterte er. »Aber sag den anderen nichts davon. Hier.« Er gab ihr ein Goldstück, das sofort in der Gewandung verschwand, in der dem Anschein nach nicht die kleinste Kleinigkeit versteckt werden konnte.
Sie lag weiterhin da und sah ihn mit verschwommenem Blick an, bis sie schließlich verstand und sagte: »Ich danke Euch, mein Lord.«
Er setzte sich auf die Bettkante und grinste sie an. Sie lächelte unsicher zurück. Jemand entfernte sich aus der anderen Ecke, Stiefel klapperten über den Boden. Nach wenigen Minuten schnarchte Ani.
Wallie wartete noch eine angemessene Zeit und ging dann an den Tisch zurück. Er lächelte Jja tröstend an und sagte: »Ich habe nichts gemacht.«
»Warum
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