Der zögernde Schwertkämpfer
dreckiger Hochstapler«, schnarrte der Viertstufler.
Wallie riß von der zweiten Tuchhälfte einen schmalen Streifen ab und band sich das Haar zurück, so daß seine Gesichtszeichen sichtbar wurden. »Laut dem Urteil des Tempelgerichts bist du nicht das, was deine Zeichen besagen, Schwertkämpfer.« Das war offenbar keine ehrenhafte Anrede, denn der Mann errötete und erhob drohend seine Peitsche.
»Nur zu«, sagte Wallie. »Genau wie dein Boß!«
Der Mann starrte ihn einen Moment lang an, dann riß er dem Zweitstufler ein weiteres Tuch aus der Hand und warf es Wallie zum Umbinden hin.
Wallie war sich nicht sicher, ob er sich sehr klug verhalten hatte, doch es wurde von ihm erwartet, daß er seinen Glauben unter Beweis stellte, und das einzige Mittel, das ihm dazu einfiel, war, seinen Mut zu beweisen. Ob er ihn den Göttern bewies oder den Schwertkämpfern oder sich selbst, spielte dabei offenbar keine große Rolle. Als es soweit war, daß sie den Platz überqueren mußten, fingen ein paar Männer an zu kriechen und bekamen die Peitsche zu spüren. Wallie ging aufrecht. Er ging sehr langsam, und jedesmal, wenn er einen Fuß vor den anderen setzte, keuchte er vor Schmerz, doch er schaffte es bis zum anderen Ende und zurück. Und er hielt die ganze Zeit über den Kopf hoch.
Dann wurden die sechs aneinandergekettet, um zum Flußufer geführt zu werden, vorbei an Gebäuden, die er vor lauter Tränen nicht sehen konnte, vorbei an dem lebhaften, lauten Wasser, das in Kürze vielleicht seinen zerschmetterten Leichnam mit sich führen würde, und zur Tempelfassade mit der breiten Treppe. Dort mußten sie eine Weile warten, bis eine Priesterin herauskam und sie stammelnd segnete.
Die Wache bestand aus neun Schwertkämpfern und vier grobschlächtigen Sklaven. Wallie war der Ehrenplatz an der Spitze zugewiesen worden, und die Kette an seinem Hals wurde von einem der Zweitstufler gehalten.
Jeder Schritt war eine Qual. Inzwischen war viel von dem Wasser in seinen Augen hineinrinnender Schweiß, und wieviel Tränen herausrannen, wußte er nicht, und er scherte sich auch nicht darum. Er nahm die lange Straße durch den Park und das große Tor nur verschwommen wahr, doch die Bande in Ketten war noch nicht weit in die Elendsviertel und Gassen der Stadt vorgedrungen, als er eine Kinderstimme schreien hörte: »He, die haben einen Schwertkämpfer dabei!«
Er rieb sich die Augen frei, um klar sehen zu können, und sofort hatte sich eine Menge versammelt. Er war nicht auf die Idee gekommen sich zu fragen, was die Leute in der Stadt wohl von den täglichen Todesmarschierern halten mochten. Innulari hatte ihm erzählt, daß die Mehrzahl der Verdammten Sklaven oder Verbrecher waren, die die umliegenden Ortschaften sandten, da dies aus einem finsteren Grund mit weit zurückreichenden Wurzeln als hoch anzurechnender Dienst an der Göttin erachtet wurde, doch einige der Opfer waren auch aus der Stadt, und vielleicht wurden ab und zu Versuche unternommen, sie zu retten. Das mochte eine Erklärung für die Zahl der Bewacher sein, denn neun Männer, die sechs in Ketten hüteten, schien übertrieben.
Doch dies war kein Rettungsversuch. Die Menge johlte, einige rannten voraus, einige hinterher – Kinder und Halbwüchsige und junge Erwachsene. Ein Schwertkämpfer der Siebten Stufe, der zum Göttlichen Gericht geführt wurde, war ein herrliches Schauspiel. Der Lärm und der Tumult in der schmalen Gasse steigerten sich immer mehr, Köpfe wurden aus Fenstern und Türen gesteckt, und aus den Seitengassen drängten weitere Neugierige heran. Die Bewacher wurden nervös und wütend und beschleunigten den Schritt, wobei sie an der Kette zerrten. Wallie hielt den Kopf hoch und zeigte die Zähne, und so stolperte er dahin.
Ein weicher Dreckklumpen traf ihn, und dann weitere, nicht ganz so weiche. Die höhnischen Rufe galten allein ihm, dem edlen Lord, dem unerschrockenen Schwertkämpfer. Na, hast du eine Schlacht verloren? Wo ist dein Schwert, Schwertkämpfer? Hier, eine Ladung von mir, mein Lord …
Der verantwortliche Viertstufler zog sein Schwert, und einen Moment lang sah es so aus, als käme es zum Blutvergießen, dem dann unvermeidlich ein gewalttätiger Aufruhr der Massen folgen würde. Doch einer der Sklaven war losgeschickt worden, um Verstärkung zu holen. Ein weiterer Trupp von Schwertkämpfern kam im Laufschritt herbeigeeilt, und die Menge wurde brutal auseinandergetrieben. Wallie litt zu sehr unter seinen Schmerzen, um Angst zu haben,
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