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Der zögernde Schwertkämpfer

Der zögernde Schwertkämpfer

Titel: Der zögernde Schwertkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Duncan
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doch er empfing die Botschaft – Schwertkämpfer der Siebten Stufe waren nicht beliebt. Wenn man Hardduju als den hiesigen Prototyp annahm, dann war das nicht weiter verwunderlich.
    Die Gefängniszelle war keineswegs die Hölle gewesen, nicht einmal das Fegefeuer, denn dieser Marsch war schlimmer. Tausendmal verfluchte er sich, weil er das Angebot mit dem Karren abgelehnt hatte, wie entwürdigend diese Art des Transports auch gewesen sein mochte oder wie schmerzhaft für seinen gepeinigten Körper. Er sah nicht, wie er die Stadt und die Landschaft unter sich ließ, sondern wurde nur gewahr, daß der Weg steil bergan führte. Er befürchtete, ohnmächtig zu werden, denn dann wäre er entweder vollends bis zu seinem Ziel geschleift oder kurzerhand von einem Schwert durchbohrt und ins Wasser geworfen worden. Die Lumpen, die er sich um die Füße gewickelt hatte, waren blutgetränkt und scheuerten über rohes Fleisch, und die Schmerzen und die Hitze waren unerträglich. Jeder Muskel und alle Glieder schienen zu schreien.
    Ein kalter Regenschauer rief ihn ins Leben zurück, nachdem sie um die Kante eines Felsbrockens gebogen waren und sich dem Wasserfall näherten, auf einem Pfad, der auf der einen Seite von einem senkrecht abfallenden Hang und auf der anderen von einem überhängenden Felssims gesäumt war. Der Boden bebte, der Wind wirbelte eine Dunstwolke kalter Tröpfchen auf, und das Tosen dröhnte ihm in den Ohren. Der Wasserfall hing wie eine Wand vor ihm. Als er über den Rand des Pfades spähte, sah er tief unten weiße Gischt und Felsen und trudelnde Baumstämme im Wasser. Sein anfälliger neuer Glaube geriet ins Wanken – konnte überhaupt irgend jemand diesen Sprung lebend überstehen? Und selbst wenn es ihm gelänge, würde er nicht schließlich wieder im Tempel landen und das erste Sutra immer noch nicht kennen? Doch dann vertrieb der Schmerz alle Zweifel; tief in seinem Innern brodelte Zorn, Zorn über die Ungerechtigkeit und niederträchtige Grausamkeit, und nährte sein Verlangen nach Rache an dem Sadisten Hardduju – und vielleicht richtete sich sein Zorn auch gegen den wunderwirkenden, geheimnisvollen kleinen Jungen, der Wallie Smith so spaßig gefunden hatte. Wallie würde es ihnen allen heimzahlen, und bei jeder neuen Woge von Zorn wurde er entschlossener.
    Jetzt wurde der Schmerz in seinen Füßen von dumpfer Gefühllosigkeit abgelöst, als ob sie abgestorben wären, doch das war möglicherweise die Wirkung des kühlenden Sprühdunstes oder auch ein Teilverlust des Bewußtseins, oder vielleicht lag es auch daran, daß er inzwischen so sehr vom Entsetzen über das ihm bevorstehende Gottesgericht gepackt war, daß er einen unaufhörlichen Gebetsschwall vor sich hinmurmelte. Er war unartikuliert und wirr und ergab sogar für ihn selbst wenig Sinn, aber vielleicht würde er ja erhört.
    Der Pfad endete unvermittelt an einer Wasserfurche, die in einen flachen, grasbewachsenen Hang auf dem hervorspringenden Felssims mündete. Die Gefangenen wurden weitergeschoben, von den Ketten befreit, und sie durften auf das Gras niedersinken. Ein Sklave ging herum und nahm ihnen die Lendentücher ab.
    Zwei der Posten blieben mit gezogenen Schwertern bei der Wasserfurche stehen, doch die anderen kümmerten sich nicht weiter um die Bewachung, was klar darauf hindeutete, daß die Furche der einzige Weg nach unten war. Nein – der einzige sichere Weg nach unten. Wallie kämpfte gegen einen Schwindelanfall an. Er versuchte, nicht an die Zukunft zu denken, sondern sich statt dessen zu überlegen, welche Leistung er vollbracht hatte, überhaupt hier anzukommen. Der kleine Junge müßte eigentlich mit ihm zufrieden sein.
    An der höchsten Stelle des Hangs stand das Heiligtum, ein steinerner Baldachin über einer kleinen Nachbildung der Statue im Tempel. Dahinter erhob sich der glänzende nackte Fels der Klippe. Der untere Rand der Wiese endete in der leeren Luft; die gegenüberliegende Seite der Schlucht war durch Wolkentürme aus Wasserdunst verhüllt. Der Wasserfall war gewaltig – erschreckend nah, ein senkrechter Fluß, der aus dem Himmel weit oben in die Hölle weit unten stürzte und die Erde mit seiner Wucht erschütterte, ein unvergeßlicher, gnadenloser weißer Tod.
    Er wandte ihm den Rücken zu und saß still da, während er die Schlucht entlang bis zum Tempel blickte, der selbst aus dieser Entfernung erstaunlich groß wirkte. Eingelassen wie ein Juwel in das Emaille seiner Parkanlage, war es ein wahrhaft

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