Der zögernde Schwertkämpfer
essen oder ihn überhaupt wahrzunehmen. Der Himmel wurde rasch dämmerig, als Wallie spürte, wie er aus seiner Lethargie gerissen wurde. Er rappelte sich zum Sitzen auf und blickte sich um. Alle anderen Gefangenen waren offenbar merkwürdig kraftlos geworden und lagen schweigend da. In dem schleimigen Raum herrschte Totenstille, Wasserdunst von der letzten Überflutung hing in der Luft, und im schwindenden Tageslicht wurden die Schatten dichter.
Der kleine braune Junge lehnte gegen den Steinquader, mit dem Wallies Fußgelenke gefesselt waren, und beobachtete ihn. Er war immer noch nackt, immer noch so dürr wie ein Bündel Stecken, und immer noch hielt er einen belaubten Zweig in einer Hand. Sein Gesicht war ausdruckslos.
»Nun, macht es was?« fragte er.
»Ja, es macht was«, sagte Wallie. Das waren die ersten Worte, die er seit dem Weggehen Harddujus gesprochen hatte. Seine Füße waren Klumpen brüllenden Schmerzes, der alle anderen Schmerzen und Verletzungen übertönte.
Der kleine Junge sagte eine Weile lang nichts, sondern sah den Gefangenen nur forschend an, doch schließlich ergriff er wieder das Wort. »Das Tempelgericht tagt, Mr. Smith, und beschäftigt sich mit Ihrem Fall. Welches Urteil beantragen Sie?«
»Ich?« sagte Wallie. »Wie kann ich denn die Entscheidung beeinflussen?« Er fühlte sich aller Empfindungen beraubt, zu sehr geschlagen, um auch nur zu hassen.
Der Junge hob eine Augenbraue. »All dies spielt sich nur in Ihrem Kopf ab – es ist alles nur eine Illusion. Das haben Sie gesagt. Können Sie da nicht das Urteil in die richtige Richtung lenken?«
»Ich glaube nicht, daß ich das Tempelgericht beeinflussen kann«, sagte Wallie. »Aber ich glaube, daß du es könntest.«
»Aha!« sagte der Junge. »Vielleicht kommen wir jetzt doch ein Stück weiter.« Er legte die Hände auf den Stein hinter sich und kam mit einem Sprung darauf zu sitzen; seine Beine baumelten in der Luft. »Wer bist du?« fragte der Mann. »Der Kurze.« Der Junge lächelte nicht. »Entschuldige!« rief Wallie. »Ich war unwissend!« Er blickte die Reihe der Gefangenen entlang. Niemand rührte sich.
»Sie werden nichts merken«, sagte der Junge. »Nur Sie. Nun gut, wir wollen uns wieder um den Glauben kümmern, einverstanden?«
Wallie brauchte eine Weile, bis er seine Gedanken beisammen hatte. Er mußte dies alles hier begreifen, sonst würde er sterben. Oder etwas Schlimmeres.
»Ich glaube, daß diese Welt wirklich ist. Aber die Erde war ebenfalls wirklich.«
Der Junge nickte und wartete.
»Es war wegen der Pferde«, sagte Wallie. »Sie sind wie Pferde, und doch nicht ganz. Ich habe immer an die Evolution geglaubt, nicht an die Schöpfung; die Menschen hier sind … wenigstens Menschen. Sie gehören keiner irdischen Rasse an, aber sie sind menschlich. Zwei verschiedene Welten konnten doch wohl kaum in einer zusammenlaufenden Evolution wirkliche Menschen hervorbringen. Etwas ähnliches für eine ähnliche ökologische Nische, das vielleicht, aber nicht so ähnlich. Ich meine, Vögel und Fledermäuse fliegen gleichermaßen, doch sind sie nicht dasselbe. Nasen und Ohrläppchen? Sie sind nicht zwingend notwendig, doch die Menschen hier haben sie auch. Trotz allem, was in den Science Fiction-Geschichten zu lesen ist, würden in einer anderen Welt bestimmt keine intelligenten Zweifüßler leben, die vom Homo sapiens nicht zu unterscheiden sind …«
Der Junge gähnte.
»Götter!« sagte Wallie schnell. »Es müssen Götter sein, nicht wahr? Ziel! Richtung! Das wolltest du mit den Perlen andeuten, nicht wahr? ›Eine gleicht der anderen, mit ganz kleinen Unterschieden«, hast du gesagt. Viele Welten, Variationen zu einem Thema. Vielleicht Kopien einer idealen Welt.«
»Sehr gut!« Der Junge nickte anerkennend. »Weiter!«
»Also ist die Göttin … die Göttin. Sie hat mich hierhergebracht.«
»Und wer sind Sie?«
Das war die große Frage, und jetzt glaubte Wallie die Antwort zu wissen. »Ich bin Wallie Smith, und ich bin Shonsu … Wallie Smiths Erinnerungen und Shonsus Körper. Seele … über die Seele weiß ich nicht Bescheid.«
»Dann machen Sie sich keine Sorgen über sie«, sagte der Junge. »Und Hardduju? Wie denken Sie jetzt über die Todesstrafe, Mr. Smith?«
»Ich habe nicht gesagt, daß ich nicht …«
»Aber Sie haben es gedacht!«
»Ja«, gab Wallie zu. »Bring mich hier raus, dann werde ich den Bastard umbringen, und ich werde alles tun, was du willst … alles.«
»So so, das werden Sie?«
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