Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
Kerr, dass der ganze Mist seine Schuld war. Er hatte den Plan gefasst, hatte sie hierhergeführt, und nun warteten sie. Und warteten und warteten, ohne dass etwas geschah. Er konnte es nicht ändern, aber trug die Verantwortung dafür.
»Aber wir verschwenden nur noch mehr Zeit. Selbst Natiole und die anderen Menschen werden ungeduldig. Es ist doch nicht richtig, dass wir hier nichts tun!«
»Menschen«, erklärte Zran erneut. Das war alles, was er zu sagen hatte, aber Kerr verstand ihn dennoch. Ihn ja, aber nicht die Menschen hier im Imperium. Was soll ich nur tun? Er fand keine Antworten auf seine Fragen. Das Leben unter den Bergen war niemals einfach gewesen, aber zumindest hatten die Trolle dort immer selbst handeln können. Sie hatten ihre Kriege geführt, ihre Fehler gemacht und daraus gelernt. Sie waren stark geblieben. Doch im Imperium waren sie nichts. Sie galten nichts, wurden nicht gefürchtet. Inmitten dieser unbeschreiblich großen Stadt, in der unvorstellbar viele Menschen wohnten, war es, als wären sie gar nicht da. Sie gingen in der Masse der Leiber unter, verschwanden in den Schatten der riesigen Gebäude, waren nicht mehr als seltsame Besucher, denen man kaum einen zweiten Blick gönnte.
Es kribbelte in seinen Fingerspitzen. Das Gefühl zog sich durch seine ganze Hand, seinen Arm, bis sein ganzer Körper nicht mehr still stehen konnte. Die Untätigkeit fraß ihn auf, und für einen Moment stellte er sie sich als dunkles
Wesen aus den Gebäuden der Stadt vor, mit einem riesigen Torschlund und leeren Fensteraugen, das sich an seiner Ungeduld labte und ihn ganz verschlang.
Ein neuer Geruch lag in der Luft. Mehr Menschen, mehr Metall, mehr Leder und Tierfett, mit dem es behandelt worden war. Erwartungsvoll drehte Kerr sich zum Eingang um, wo kurz darauf eine Gruppe gerüsteter Menschen erschien. Es war ein Dutzend von ihnen, und sie trugen keine goldenen Rüstungen, sondern nur Leder und stumpfes Metall, dessen Geruch Kerr in die Nase stach. Vor allem aber rochen sie nach Angst, wie viele Menschen, die zum ersten Mal Trolle sahen.
In ihrer seltsamen Zunge sprachen sie mit den Wachen, bevor sie in den Keller traten, allen voran ein Mann mit dunklen, ölig glänzenden Locken und einem geflochtenen Bart. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor, so fest hielt er seinen Speer in der Hand.
»Ja?«, fragte Kerr freundlich.
»Wir sollen Euch abholen«, erklärte der Mann, dessen Stimme überraschend fest klang. »Euch und eure Begleiter.«
»Wohin?«
»Zur Audienz.«
Erleichterung machte sich in Kerr breit. Audienz. Das war das Wort, das die Menschen immer wieder gebraucht hatten, um zu beschreiben, worauf sie warteten. Seine Sorgen schienen ihm nun plötzlich lächerlich, seine finsteren Gedanken, die ihm noch vor wenigen Dreeg durch den Kopf gegangen waren, wirkten nun töricht.
»Gut«, erklärte er aufgeräumt. »Sehr gut. Wrag, Zran, wir gehen.«
Die Trolle folgten den Menschen die Treppe hinauf, wo schon Natiole und die anderen Wlachaken in Begleitung von gut einem Dutzend Soldaten warteten.
»Endlich«, knurrte Wrag, und Natiole nickte. »Das wurde
aber auch Zeit«, flüsterte er Kerr zu. »Ich wünschte nur, Sargan wäre hier. Hoffentlich hat er von der Audienz erfahren und trifft uns dort.«
»Folgt mir bitte«, sagte der Anführer der Soldaten und führte sie hinaus in die milde Nacht. In Colchas schliefen die Menschen auch zu dieser Uhrzeit nicht. Zumindest nicht alle, wie Kerr wieder einmal feststellte. Man sah Lichter, Feuerschalen, Wachen, hörte Schritte, Rufe. Selbst in Teremi war es nachts ruhig gewesen, doch in dieser gewaltigen Stadt lief ein Teil des Lebens auch in der Dunkelheit weiter.
Sie liefen über viele der Straßen, die Kerr bereits gesehen hatte, als sie mit Sargan unterwegs gewesen waren. Aber dann bogen sie ab, gingen fort von den ganz großen Gebäuden. Hier waren kaum noch Menschen zu sehen. Selbst ihr Geruch war fern, als kämen nur selten Menschen an diesen Ort. Dennoch gab es rechts und links der Straße Häuser, mit Statuen und Säulen und Fresken, die Kerr nicht deuten konnte.
»Da vorn ist das Mausoleum«, erklärte Natiole leise und wies auf ein flaches Gebäude, das von Säulen umgeben war. Auf dem Dach thronte ein großer Stier aus Stein, dessen Flügel bis über das Gebäude hinausragten. Zwischen seinen Hörnern trug er eine goldene Scheibe, die im Licht zweier Feuerschalen glänzte.
»Da drin ist der Speer?«
»Vermutlich. Das können wir den
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