Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
fast unter die Oberfläche, aber das letzte Stück würden sie erst öffnen, wenn die Sonne untergegangen war. Und wenn wir bis dahin durchhalten, werden sie uns helfen. Wieder wanderte sein Blick zu den Massen ihrer Feinde. Falls wir durchhalten. Denn nicht weit von ihnen entfernt bereitete sich das Imperium darauf vor, eine kleine, widerspenstige Provinz zurück in seinen Schoß zu holen.
60
Die Sonne stand hoch über dem Pass, als die Reihen des Imperiums zur Ruhe kamen. Doch Ana wusste, dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm war, ein kurzes Sammeln, bevor die Schlacht begann. Die Nervosität der letzten Wochen fiel von ihr ab, als die Stille auch von ihr Besitz ergriff. Die politischen Ränke, die Ratsversammlungen, das Feilschen und Buhlen um Posten und Macht, all das war vergessen. Die Gefahr der Invasion hatte es ihr leichter gemacht, sich den Thron zu sichern, auch wenn ihr dies ohne Scilois Einfluss niemals gelungen wäre, aber jetzt standen sie alle hinter ihr, wortwörtlich, aufgereiht in den Schlachtreihen der Masriden. Selbst Sziglos’ Fraktion hatte sich schlussendlich dem Unvermeidbaren gefügt, auch wenn Ana sicher war, dass die Anhänger des Adeligen ihr noch Schwierigkeiten bereiten würden. Sofern wir den heutigen Tag überleben, dachte sie. Was nicht nur angesichts der Zahl unserer Feinde ungewiss ist.
Ein Marczeg führte sein Volk in die Schlacht; daran gab es keinen Zweifel. Im Imperium mochten die Generäle zurückbleiben und den Verlauf der Kämpfe aus mit allen Bequemlichkeiten ausgestatteten Zelten verfolgen, während ihnen Sklaven kandierte Früchte reichten. Aber Ana würde kämpfen, an vorderster Front. Mit meinen Klingen habe ich Sziglos erschlagen und mir den Thron gesichert. Jetzt werden meine Schwerter mir den Respekt der Masriden erringen.
Ihr Blick wanderte zu der kleinen Gruppe um Şten, Natiole und Ionnis, die weiter an der linken Flanke ihres Heeres standen. Der Voivode musste sich keine Sorgen um die
Loyalität seines Volkes machen. Im Angesicht der Gefahr waren die Wlachaken einig.
»Sagt den Schützen, dass sie sich bereithalten sollen«, befahl Ana kühl. »Es wird bald beginnen.«
Ihre Befehle wurden weitergeleitet, huschten von Mund zu Mund. Sie erreichten nicht nur die Bogenschützen, sondern auch die anderen Soldaten. Unruhe kam in den Reihen auf, als die Nachricht vom baldigen Beginn der Schlacht sie durchlief.
Obwohl der Himmel wolkenlos war, blieben die Strahlen der Sonne schwach, denn noch war es Frühlingsanfang, und in den letzten Nächten hatte es manchmal Frost gegeben. Die imperialen Armeen waren mit Beginn der Schneeschmelze aus ihrem Winterlager nahe Macaza aufgebrochen, aber die vereinten Truppen von Wlachaken und Masriden hatten den Pass vor ihnen erreicht und befestigt.
Der Kampf am Pass war Ştens Idee gewesen, und Ana hatte ihm zugestimmt. Hier hatten sie einen klaren Geländevorteil. Den wir bitter benötigen.
Ruhig überprüfte Ana ein letztes Mal ihre Waffen, den Sitz der Rüstung, die Gurte des Sattels. Zwar hatte sie das schon vorher mehr als einmal getan, aber diese allerletzte Kontrolle half ihr, ihre Gedanken auf das Kommende zu konzentrieren.
Sie blickte hinab zu ihren Feinden. Es war ihr, als könne sie die Kraft der zukünftigen Ereignisse zwischen den beiden Armeen spüren, als wabere dort eine Wolke von Krieg und Tod, in die sie nur noch hineinmarschieren müssten. Als wären alle Entscheidungen ohne Konsequenz, da größere Kräfte über sie verfügten, denen schwache Menschen nichts entgegenzusetzen hatten.
Sie schüttelte den Kopf, vertrieb die seltsamen Vorstellungen und konzentrierte sich wieder auf die imperialen Soldaten. Die Infanterie würde direkt nach dem Sturm der
Tredare marschieren, mit den schwer gerüsteten Goldenen Garden im Zentrum. Die Enge des Passes würde verhindern, dass sie ihre zahlenmäßige Überlegenheit direkt ausnutzen konnten, aber sie würde auch die schwere Kavallerie der Masriden einschränken.
Ana schob sich den masridischen Helm ins Gesicht und hob den Arm. Stille legte sich über die Reihen, als alle Blicke zu den Feinden wanderten. Oft genug hatte Ana für das Imperium gefochten – sie kannte alle Taktiken und Vorgehensweisen der dyrischen Armeen. Und ich kann sie kontern, dachte sie selbstbewusst.
Ein Horn ertönte, der Laut wehte zu ihnen herüber. Flaggen wurden geschwenkt. Zuerst schwerfällig, dann immer schneller setzten die Tredare sich in Bewegung. Ihre knurrenden, wütenden Rufe waren
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