Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
aus der Nacht hervor, als Flores die Beinschiene löste und über den Stumpf des Pfeils zog. Mit fester Hand band sie ein langes Tuch um sein Bein. Jedes Mal, wenn sie dabei den Schaft berührte, zuckte der Masride zusammen.
»Tamár?«, fragte Flores besorgt und legte eine Hand an sein Gesicht.
»Es geht«, log der Marczeg und richtete sich wieder auf. Für einige Augenblicke bewegte sich die Welt um ihn in ungewohnten Bahnen, doch dann beruhigte sie sich wieder.
»Was sind das für Kerle? Das waren doch keine Räuber«, wunderte er sich, während er vorsichtig die Wunde befühlte. »Verdammte Hurenböcke!«
»Sylken.«
»Sylken? Aus dem Imperium? Aber was sollten die hier zu suchen haben?«
»Söldner?«, mutmaßte Flores und sah ihn an. Ihr Blick war traurig, als wisse sie etwas, was er noch nicht verstanden hatte.
»Warum sollten sylkische Söldner sich hier in Ardoly anheuern lassen? Woher weißt du das überhaupt?«
»Ihre Schwerter. Die Rüstungen sind zu gewöhnlich, aber ihre Schwerter verraten ihre Herkunft. Ich habe mir einen der Toten angesehen, und auch wenn ich in der Dunkelheit nicht viel erkennen konnte, war er sicher nicht aus Wlachkis.«
»Sylken sind Reiter. Sie sind ebenso bekannt dafür wie die Masriden! Wieso töten sie dann unsere Pferde? Warum Szeg?«
Der Verlust schmerzte Tamár. Es stimmte, dass Szeg schon alt gewesen war, doch er war das treueste Pferd gewesen, das Tamár jemals besessen hatte. Launisch und manchmal wild, aber loyal, wann immer es darauf ankam.
Ein Pferd, wie es einem Marczeg der Masriden würdig war. Jemand wird dafür bezahlen.
»Sylken achten niemand, der nicht aus ihrem Volk ist. Vielleicht war es ein Zeichen ihrer Verachtung? Sonst hätten sie uns wohl kaum mit nur drei Gestalten angegriffen.«
»Die Überraschung lag auf ihrer Seite. Beinahe hätten sie es geschafft«, entgegnete Tamár, dem das Vorgehen der Sylken nicht durch Verachtung motiviert gewesen zu sein schien. »Wir sind zwei alternde Kämpen, Flores. Sie dachten, wir wären leichte Beute.«
»Sie kommen aus dem Imperium. Sie sollten meinen Namen kennen!«
»Beschwerst du dich gerade darüber, dass sie uns unterschätzt haben?«, erkundigte sich der Marczeg amüsiert. »Wir wären tot, wenn sie gleich mit voller Kraft angegriffen hätten.«
»Dann wäre es zumindest vorbei. So werden einfach noch mehr kommen. Und noch mehr. Und noch mehr, wenn es sein muss.«
Die Worte hingen in der Luft, kalt und leer. Sie hatte recht; ihre Situation war übel. In der Hütte eingeschlossen, von einer unbekannten Anzahl von Feinden belagert. Keine Reittiere, kaum Fluchtmöglichkeiten.
Die Tür erbebte unter einem harten Schlag, der den Tisch knirschend über den Boden rutschen ließ.
»Du denkst, sie wurden angeheuert, um uns zu töten?«, fragte Tamár in die Stille nach dem Schlag. Stumm nickte Flores.
Schon oft hatte der Marczeg jenen in die Augen gesehen, die seinen Tod wollten. Er hatte sich Feinde gemacht, er hatte in einigen Schlachten gekämpft, aber er hatte sich niemals beirren lassen. Auch jetzt war seine erste Reaktion Zorn, nicht Angst. Grimmig stand er auf und verlagerte langsam sein Gewicht auf das verletzte Bein. Zufrieden
stellte er fest, dass es ihn trug, auch wenn die lodernden Schmerzen nicht leicht zu ertragen waren.
»Diesmal überraschen wir sie. Ich gehe vor, decke dich mit dem Schild. Vielleicht kannst du dir einen Schutz improvisieren, aus einem Stuhl oder etwas Ähnlichem. Ich ziehe sie auf mich, du verschwindest aus dem Licht. Renn zum See und am Ostufer entlang, dort ist das Unterholz weniger dicht. Schlag dich in den Wald, sobald du kannst. Sie werden Pferde haben. Ich versuche eines davon zu erreichen. Und …«, wollte er fortfahren, sah dann aber ihr amüsiertes Lächeln. Kopfschüttelnd betrachtete sie ihn, und noch bevor sie den Mund öffnete, wusste er, was sie sagen würde.
»Ich lasse dich nicht zurück.«
»Das wirst du aber müssen! Mit dem Bein bin ich zu langsam. Ich halte sie auf. Du bist schnell, du kommst davon.«
»Tamár, wenn du wirklich denkst, dass ich dich diesen sylkischen Schergen überlasse, dann wirst du langsam anscheinend altersstarrsinnig. Ich lasse dich nicht zurück.«
»Hör mir zu …«, begann er, aber sie fiel ihm ins Wort: »Nein. Denk nicht einmal daran. Ich laufe nicht davon. Nicht ohne dich.«
»Wie soll ich das hinnehmen?«
»So wie es gemeint ist.« Sie schwieg einen Moment und blickte zu ihm. In ihren Augen lag ein Funkeln, das
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