Der Zorn Des Skorpions
sickerte etwas Licht hinein. Das Fahrzeug stand jetzt still. Er hatte irgendwo angehalten und den Motor ausgeschaltet. Sie hatte vor Angst kaum atmen können, als er die Heckklappe öffnete und mit behandschuhten Händen das andere Mädchen grob von der Ladefläche zerrte. Die Morgensonne ließ den Schnee so glitzern, dass Elyssa nahezu geblendet war, doch sie hatte gesehen, dass sie sich im Wald befanden. Alles war weiß und still; die Gegend war zweifellos sehr abgelegen.
Die andere Frau, eine Gefangene wie sie selbst, hatte aufgeschrien, als Liam sie zu Boden zog. Elyssa sah sein Messer aufblitzen und erkannte, dass Blut daran klebte. Ihr Blut, wie sie wusste, von dem Stich, mit dem er sie brutal auf die Ladefläche getrieben hatte.
Sie erwog, sich aus dem Fahrzeug zu werfen, ihn zusammenzutreten und zu flüchten. Weit würde sie nicht kommen, aber vielleicht gelang es einer von ihnen, dem anderen Opfer oder ihr selbst, sich in Sicherheit zu bringen. Zur Polizei zu laufen! Hilfe zu holen!
Doch als hätte er ihre Gedanken gelesen, schlug er die Heckklappe zu und verriegelte das Verdeck.
Klick.
Das Geräusch war leise, doch es hallte in Elyssas Kopf nach und ließ sie nicht vergessen, dass sie eingesperrt war. Allein. Dem Tode nahe.
Der Anblick der anderen Frau hatte sich in ihr Gehirn gebrannt: eine große, schlanke Frau mit kleinen Brüsten, braunem Haar und großen, verängstigten Augen. Sie hatte durch den Knebel hindurch zu schreien versucht, als sie von der Ladefläche gezerrt wurde. Elyssa hatte ihre angstvollen, erstickten Schreie gehört, während Liam, sofern das sein richtiger Name war, sie einfach ignorierte.
Jetzt war da nichts mehr – kein Geräusch außer ihrem eigenen wilden Herzklopfen.
Zitternd schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel.
Lieber Gott, bitte, hilf mir. Hilf ihr … rette uns.
Bei dem Gedanken an ihre Eltern sprangen Tränen aus ihren Augen. Wie ihre Mutter die Strümpfe am Kamin aufhängte und ihr Vater in seinem Sessel saß und bei den Sportnachrichten im Fernseher die Zeitung las. Und Cesar. Ob sie ihm fehlte? Bei seinen Kindern.
Oh, wie sehr sie ihr alle fehlten! Wie sie sich wünschte, ihnen allen gesagt zu haben, wie sehr sie sie liebte.
Wie …
Draußen im Schnee knirschten Schritte. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte sie, jemand käme zu ihrer Rettung. Ein Funken Hoffnung flackerte in ihrem Herzen auf.
Bis sie das Türschloss klicken hörte, den Pick-up schwanken spürte, als er einstieg.
Dann hörte sie den Motor spucken und dröhnend anspringen. Mit knirschenden Reifen setzte sich der Pick-up in Bewegung.
Elyssa O’Leary schloss die Augen und betete. Ihr war klar, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte.
25. KAPITEL
E twas lag in der Luft. Etwas nicht Greifbares, Finsteres, Böses.
Nate hatte eine ruhelose Nacht hinter sich, hoffte, Chilcoate würde sich melden, und wusste, dass er vergebens hoffte. In seinem Kopf wirbelten Ideen und Ausweglosigkeiten durcheinander; er ließ die Informationen über Regans Entführung und die anderen Morde in seinem Gedächtnis Revue passieren. Die Fragen und Bilder ließen sich einfach nicht zum Schweigen bringen, und als er schließlich eindämmerte, waren seine Träume zersplittert und überdeutlich. Eben noch schlief er mit Regan, küsste sie, schweißnass am ganzen Körper und eingehüllt in ihren Duft, und streichelte ihre langen Beine. Er hörte ihre tiefe, rauchige Stimme. »Ja, so, Cowboy«, flüsterte sie an seinem Ohr. »Genau da … ja … o ja …«, und dann löste sie sich unter seinen Händen auf, das Gesicht vor Angst verzerrt, und er stand im Schneegestöber am Rand eines dunklen Abgrunds.
Ihren Namen rufend, erwachte er und gab schließlich den Versuch zu schlafen auf. Die folgenden Stunden verbrachte er damit, Unmengen Kaffee zu trinken, Karten zu studieren und nach einer Verbindung zwischen Brady Long und den anderen Opfern oder, noch wichtiger, dem Mörder zu suchen.
Und warum war dieser Ivor Hicks plötzlich aufgetaucht?
Als Bradys Körper noch warm und seine Seele noch nicht in der Hölle war?
Ivor lebte mindestens drei Meilen entfernt in einer Art Baracke am Fuß von Mesa Rock.
Das alles ergab keinen Sinn, überlegte er, während er vergeblich versuchte, Lucifer an die Kandare zu nehmen. »Komm schon, mein Junge«, lockte er, bemüht, sich auf das Tier einzustimmen. Lucifer hatte sich von ihm die glänzenden schwarzen Schultern tätscheln lassen und weder mit den Hufen gescharrt
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