Der Zorn Gottes
Lästerer! Wie konnte man Gott und Seinen
gerechten Zorn mit Mord und bösem Totschlag in Verbindung bringen?
All die Seelen, die da unvorbereitet und ohne Segen in die große
Finsternis mußten! Und all das andere Böse in der Stadt? Das
besessene Mädchen bei den Hobdens. Der Übeltäter, der die
abgeschlagenen Köpfe der Verräter stahl. Und der Freund des
alten Jack Cranston, heimtückisch ermordet und den Ratten zum Fraß
überlassen. Was hatten diese Dinge mit Gottes Schöpfung zu tun?
Mit den Sternen, die am Himmel kreisten? Mit dem grünen, fetten Gras
der Wiese? Mit der einfachen Ehrlichkeit und Gottesfurcht vieler seiner
Pfarrkinder? Leise murmelte Athelstan die Worte eines Mentors, Pater Paul:
»Gott ist niemals fern. Er kann nur durch uns handeln. Des Menschen
freier Wille ist Gottes Tür zur Menschheit.« Was also war mit
diesen Morden? Er bemühte sich, seine Gedanken zu steuern und nach
einem alles durchziehenden Faden zu suchen. Der Gesang hörte auf, und
er öffnete die Augen, als Cranston laut schnarchend rückwärts
gegen die Bank stieß.
»Sir John, kommt!«
Cranston öffnete die
Augen und schmatzte.
»Für mich einen
großen Becher Roten!« brüllte er.
»Sir John, wir sind in
der Kirche.«
Cranston rieb sich die Augen
und kam schwerfallig auf die Beine.
»Mir fallt es schwer zu
beten, Bruder. Ich will dir zeigen, was ich tue.«
Wie ein großer Bär
tappte er in die Seitenkapelle und blieb vor der holzgeschnitzten Figur
der Jungfrau Maria stehen, die ihre Arme um die Schultern des Jesusknaben
gelegt hatte. Cranston warf zwei Münzen in eine eisenbeschlagene Kiste und
fischte zehn Kerzen heraus, die er wie eine Reihe Soldaten auf dem großen
Eisenleuchter vor der Statue aufstellte.
»Zehn Gebete«,
murmelte er. »Eins für mich, eins für Lady Maude, eins für
jedes der beiden Kerlchen, eins für Gog und Magog. Eins für
dich, eins für Boscombe und Leif, eins für Benedicta, und eins für
den alten Oliver.«
»Das sind neun, Sir
John.«
»Ach ja.« Mit
einem Kienspan zündete Cranston die letzte Kerze an. »Und eins
für jeden anderen armen Scheißer, für den ich hätte
beten sollen.« Er blies den Kienspan mit weindunstigem Atem aus und
stürmte durch die Kirche zur Tür. »Das war's, Bruder. Für
mich heißt es jetzt: Ab ins › Heilige Lamm Gottes‹!«
Sie banden ihre Pferde los
und wanderten in das geschäftige Treiben der Cheapside. Sir John
rechnete mit der üblichen hingerissenen Begrüßung in
seiner Lieblingsschenke, aber er sah sich enttäuscht. Die Wirtin
zeigte nur bebende Erwartung.
»Sir John, eine
Nachricht vom Rathaus! Schon mindestens zweimal war ein Bote hier. Ihr
sollt sofort kommen!« Ihre Stimme dämpfte sich ehrfürchtig.
»Der Lord Regent selbst befiehlt Eure Anwesenheit!«
Fluchend und murrend bahnte
Cranston sich den Weg durch die Cheapside zurück, und ein noch bedrückterer
Athelstan trottete hinter ihm her. Im Rathaus führte sie ein
Kammerdiener in einen kleinen Raum mit Blick auf den Garten, in dem
Mountjoy ermordet worden war. Der Diener klopfte an die Tür und schob
sie dann hinein. Cranston stolzierte durch die Tür und funkelte den
Regenten an, der direkt gegenüber saß, zu beiden Seiten
flankiert von Goodman und den Gildemeistern. Athelstan
schaute hinauf zu den silbernen und goldenen Sternen, die an die blaue
Decke gemalt waren, und betrachtete dann die Holztäfelung ringsum.
Ein angenehmes, luxuriöses Zimmer, dachte er, in dem die Großen
der Stadt ihre Pläne schmieden. Gaunt winkte sie zu zwei hochlehnigen
Polsterstühlen.
»Sir John, setzt Euch.
Wir warten schon.«
»Euer Gnaden«,
raunzte Cranston und ließ seine Massen auf den Stuhl sinken, »ich
war beschäftigt! Der Schmied Sturmey wurde …«
»Ich weiß, ich
weiß«, unterbrach ihn Gaunt. »Ermordet. Von einem oder
mehreren Unbekannten. Sein Leichnam liegt in einem Schuppen in
Billingsgate. Und du, Bruder?« Die harten, schlauen Augen musterten
Athelstan. »Der Verräter Ira Dei hat sich dir offenbart.«
Gaunt lächelte, als er das überraschte Gesicht des Ordensbruders
sah. »Wir haben Mittel und Wege, Bruder, um herauszufinden, was in
unserer Stadt vor sich geht. Was Sturmey angeht, Sir John, so habt Ihr
seine Werkstatt versiegelt, wenn ich recht verstehe?«
Cranston nickte.
»Meine Leute haben die
Siegel erbrochen«, erklärte
Weitere Kostenlose Bücher