Der Zorn Gottes
wahnsinnigen
Predigers noch mehr Nachdruck.
»Diese Stadt ist
verdammt wie Sodom und Gomorra! Wie auf Tyrus und Sidon und die Fleischtöpfe
der Ebene wird der Zorn Gottes herniederfahren!« Der Mann schwenkte
einen sehnigen Arm in Richtung Cheapside. »Ich bringe das brennende
Kreuz in diese Stadt als Warnung vor den Feuern, die noch kommen werden!
Also bereuet, ihr Reichen, die ihr euch auf goldenen Polstern räkelt,
den Saft der Weintraube trinkt und euch das Maul mit den zartesten Speisen
vollstopft!«
Cranston und Athelstan
schauten zu, wie der Mann weiterschwadronierte, obwohl jetzt Soldaten in
der Livree der Stadt und mit dem Wappen John von Gaunts aus den Gassen zum
Tower strömten. Die Soldaten bahnten sich mit der flachen
Schwertklinge einen Weg durch die Menge, um den wahnsinnigen Propheten zu
verhaften. Der Pöbel leistete Widerstand, die Stimmung war
verdrossen; Prügeleien brachen aus, und als Athelstan wieder
hinschaute, war der Prediger mit seinem Flammenkreuz verschwunden.
»Kommt, Sir John, ich
habe ein Geständnis zu machen.«
Er führte den Coroner
weg von dem Tumult.
»Was gibt's, Bruder?«
»Dieser Anführer
der Großen Gemeinschaft, Ira Dei - er hat mir eine Warnung zukommen
lassen.« Und Athelstan berichtete ausführlich von seinem
seltsamen Besucher und auch von der Proklamation, die an seiner Kirchentür
gehangen hatte.
Mit schmalen Lippen hörte
Cranston ihm zu. Er war so besorgt, daß er sogar seinen wunderbaren
Weinschlauch vergaß.
»Wieso kommen sie zu
mir?« fragte Athelstan schließlich.
Cranston blies die Wangen
auf. »Aus Angst, und um dir zu schmeicheln, Bruder. Aus Angst, weil
er weiß, daß du mein Schreiber und Secretarius bist.«
»Und das zweite, Sir
John?«
Cranston grinste schief.
»Für einen Pfaffen bist du ziemlich bescheiden, Athelstan. Hast
du noch nicht gemerkt, wie sehr du bei den Armen und Unglücklichen in
Southwark geachtet, ja, verehrt wirst?«
Athelstan errötete und
schaute weg.
»Das ist doch lächerlich«,
sagte er leise.
»Oh nein, das ist es
nicht!« versetzte Cranston und ging weiter. »Vergiß Ira
Dei, Bruder. Wenn der Aufstand kommt, dann werden es Priester sein wie du,
John More und Jack Straw, die das gemeine Volk führen.«
»Ich werde mich in
meiner Kirche verstecken«, gab Athelstan zurück. »Da wir
gerade davon sprechen …« Er hielt vor St. Dunstan an und zog
Philomels Zügel durch einen Haken an der Mauer.
»Was ist los, Bruder?«
»Ich will nachdenken,
Sir John, und beten. Ich rate Euch, desgleichen zu tun.«
Murrend und fluchend band
Cranston sein Pferd an, nahm einen großzügigen Schluck aus dem
wunderbaren Weinschlauch und folgte Athelstan in den kühlen, dunklen
Vorraum der Kirche.
In der Kirche brannten einige
Fackeln, vor den Statuen der Hl. Jungfrau und der Hl. Joseph und Dunstan
standen Kerzen; durch die bunten Glasfenster strömte Sonnenlicht und
ließ die Bilder erstrahlen. Bewundernd schaute Athelstan zu den
Fenstern hinauf.
»So eins möchte
ich zu gern haben«, flüsterte er. »Nur eins für St.
Erconwald.«
Während er die Fenster
bestaunte, nahm Cranston einen winzigen Schluck aus seinem Weinschlauch
und folgte dem Ordensbruder dann durch das Kirchenschiff zu einer Bank vor
dem Lettner. Im Chorgestühl dahinter probten der Kantor und sein Chor
die Michaelismesse. Athelstan setzte sich auf die Bank, schloß die
Augen und lauschte den Worten.
»Ich sah einen großen
Drachen, der erschien in den Himmeln; er hatte zehn Häupter und auf
jedem Haupt eine Krone, und sein mächtiger Schweif fegte ein Drittel
aller Sterne vom Himmel. Und dann sah ich Michael mit dem Drachen kämpfen.«
Triumphierend sang der
machtvolle dreistimmige Chor die lateinische Schilderung vom großen
Sieg des Erzengels Michael über den Satan.
Athelstan schloß die
Augen und betete zu Gott um Hilfe gegen das Böse, dem er jetzt gegenüberstand:
Mountjoy, blutüberströmt in dem schönen Garten; Fitzroy,
der sein Leben bei John von Gaunt über den goldenen und silbernen
Tellern aushauchte; Sturmey, den der Menschenfischer wie ein Stück
Abfall aus dem Fluß gefischt hatte und dessen Leichnam nun da lag,
ausgestellt wie ein toter Kabeljau oder Salm.
Er mußte an die Warnung
denken, die ihm am Morgen überbracht worden war, und spürte, wie
sein Zorn aufwallte. Der Mann, der sich
Ira Dei nannte, war ein
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