Der Zorn Gottes
schon.«
»Euer Gnaden, Ihr könnt
mich nicht zwingen, gegen mein Gewissen zu handeln.«
Gaunt setzte sich wieder und
streckte lächelnd die beringten Hände aus. »Aber, aber,
Bruder, was verlangen wir denn? Wir wollen doch nicht, daß du zum
Verräter wirst - weder an der Krone noch an der sogenannten Großen
Gemeinschaft noch an dir selbst.«
»Was wollt Ihr dann?«
fragte Cranston leise.
»Nicht viel«,
antwortete Gaunt. »Ira Dei ist mit Bruder Athelstan in Verbindung
getreten. Soll unser treuer und loyaler Bruder doch zurückschreiben.
Wer weiß? Vielleicht läßt sich der geheimnisvolle Verräter
in die Karten schauen?« Gaunt lächelte. »Sicher ist der
Verräter kein Dummkopf, und er würde Athelstan nie vertrauen.
Aber wie es im alten Sprichwort heißt, Sir John: Keiner kann wissen,
was vom Apfelbaum fallt, bevor er ihn schüttelt.«
Athelstan preßte die
Lippen zusammen; er wollte sich auf nichts weiter einlassen und machte
seinem Zorn erst Luft, als sie die Ratskammer verlassen hatten und im
Erdgeschoß des Hauses waren. Cranston war heiterer gestimmt, nicht
zuletzt, weil er wieder einen Schluck aus seinem Weinschlauch genommen
hatte.
»Nur Mut, Bruder.«
Er klopfte Athelstan auf die Schulter. »Vergiß nicht, der Lord
Regent muß verzweifelt sein.«
Athelstan blieb am Fuße
der Treppe stehen. »Diese Zusammenkunft war ganz fruchtbar, Sir
John, nicht wahr?«
Cranston grinste. »Ja.
Zwei saftige Happen. Erstens: Woher wußte Denny, daß der Lord
Sheriff Wein trank und sich mit seinen Hunden unterhielt? Eine ziemlich
eingehende Beobachtung von jemandem, der angeblich nie in die Nähe
des Lord Sheriffs kam, wenn dieser sich in seinem Privatgarten sonnte.«
»Und Goodmans
Verlegenheit?« fragte Athelstan.
»Ja, ja. Ich glaube,
unser toter Schlossermeister hatte ein dunkles Geheimnis, das unser Herr Bürgermeister
kennt.« Cranston warf Athelstan einen scharfen Blick zu. »Da
ist aber noch etwas, nicht wahr, Bruder?«
Der Bruder schaute weg, aber
Cranston sah den Aufruhr in seinem sorgenvollen Blick. Athelstan murmelte
etwas.
»Wie bitte, Bruder?«
»Sagt, Sir John, der
Lord Regent hat eine Legion von Spionen, nicht wahr?«
»Legion ist das
richtige Wort, Bruder. Eher noch ein Schwärm Ameisen, der in der
ganzen Stadt umherwimmelt. Niemandem kann man trauen, nicht einmal Leuten wie Leif, dem Bettler. Es
sind keine bösen Menschen; sie sind einfach so arm, daß man sie
leicht kaufen kann.« Cranston kam näher, und Athelstan bemühte
sich, nicht vor dem Weindunst zurückzuweichen. »Du fragst dich
natürlich«, flüsterte der Coroner, »wieviel Gaunt
über Ira Dei weiß.«
Athelstan wollte antworten,
als sie ein Geräusch hörten; sie drehten sich um und erblickten
hinter sich Sir Nicholas Hussey, den Lehrer des Königs.
»Mylord Coroner, Bruder
Athelstan.« Der glatte, silberhaarige Höfling verbeugte sich
leicht. »Wir haben gehört, daß Ihr im Rathaus seid. Seine
Gnaden, der König, bittet Euch um einen Augenblick Eurer Zeit.«
Athelstan warf einen
verwunderten Blick auf diesen dunkelhäutigen Gelehrten, der von Beruf
Rechtsanwalt war. Jetzt wurde spürbar, wie Hussey den König im
stillen beherrschte und wie raffiniert er den Knaben manipulierte.
Athelstan sah die strahlend blauen Augen des Mannes, klar wie der Himmel
an einem Sommertag. Er sah auch die Verschlagenheit und erkannte rasch, daß
Hussey womöglich noch gefährlicher war als der Regent, den sie
eben verlassen hatten. Auch Cranston blieb stumm und überlegte,
wieviel Hussey wohl gehört hatte. Dann lächelte er.
»Es ist uns eine Ehre«,
brummte er.
Hussey führte sie durch
einen Korridor und zu ihrer Überraschung hinaus in den Privatgarten
hinter dem Rathaus, wo Mountjoy ermordet worden war. Der junge König,
gekleidet in eine schlichte, lincolngrüne Tunika, das Blondhaar
zerzaust, saß auf einer Rasenbank, neben sich einen ledernen
Schwertgurt und ein Paar Jagdstiefel mit Sporen. Eine Kinderarmbrust
lehnte zu seinen Füßen, und an den Schmutzspuren an Gesicht und
Händen erkannte Cranston, daß der junge Mann wohl auf der Jagd
gewesen war, vermutlich in den Wäldern und Wiesen nördlich von
Clerkenwell. Er und Athelstan verbeugten sich, aber Richard wischte die
Artigkeiten mit einer Handbewegung beiseite und deutete neben sich auf die
Bank. Schwertgurt und Stiefel schob er
Weitere Kostenlose Bücher