Der Zorn Gottes
gebracht.«
»Werkstatt?«
fragte Athelstan.
»Ihr werdet schon
sehen.«
Cranston warf Athelstan einen
warnenden Blick zu.
»Sonst war niemand da?«
fragte der Coroner. »Ihr habt niemanden in der Nähe gesehen?«
Der Mann schüttelte den
Kopf.
»Keine Menschenseele.
Ich sage Euch, Sir John, der Kai war völlig verlassen. Ich habe auch
niemanden gehört.«
»Aber wie kann das
sein?« fragte Athelstan. »Wie kann jemand auf Sturmey zugehen,
ihm ein Messer ins Herz stoßen und verschwinden wie eine Rauchwolke?«
Der Menschenfischer zuckte
die Achseln und leerte seinen Weinbecher. »Ich ziehe nur die Leichen
heraus«, sagte er. »Ich kann nicht sagen, warum sie gestorben
sind. Kommt, ich zeige ihn Euch.«
Er führte sie von der
Schenke zu einer Seitenstraße und bog dann in eine schmale Gasse
ein. Vor einem langen, scheunenartigen Gebäude blieb er stehen und
öffnete die mit einem Vorhängeschloß gesicherte Tür.
Sofort bedeckte Athelstan Nase und Mund, denn der Gestank war gräßlich.
Der Menschenfischer zündete Fackeln an; blakend geriet das Pech in
Brand, und Athelstan schaute sich um. Etwa ein Dutzend Tische füllten
den Raum. Einige waren leer, auf anderen lagen lederbedeckte Bündel.
»So, welcher ist nun
Sturmey?« murmelte der Menschenfischer bei sich. Er zog eine
Lederdecke beiseite. »Nein. Das ist der Selbstmord.« Er blieb
stehen, legte den Finger an die Lippen und deutete dann auf ein anderes Bündel.
»Und das ist der Betrunkene. Also ist das« - triumphierend
schlug er die Decke zurück »Sturmey!«
Ausgestreckt lag der tote
Schlosser da; das Gesicht war gespenstisch weiß, sein Haar und die
Kleider waren naß. Auf seiner Brust war ein dunkelroter Fleck. Neben
dem Leichnam lag ein langes Messer. Athelstan nahm es behutsam in die
Hand.
»Das gleiche«,
murmelte er, »wie bei Mountjoy.« Er warf noch einen Blick auf
den Toten. Cranston wandte sich ab und labte sich geschäftig an
seinem Weinschlauch.
»Woher wißt Ihr,
daß es Sturmey ist?« fragte Athelstan.
»Er hatte eine Liste
mit Besorgungen in seiner Tasche, und darauf stand sein Name«,
antwortete der Menschenfischer. »Und Mylord Coroner hatte mich und
die anderen meiner Zunft schon beauftragt, nach dem Mann Ausschau zu
halten.« Sein Gesicht wurde noch länger. »Den Rest wißt
Ihr. Habt Ihr genug gesehen?«
»Bei den Zähnen
der Hölle, ja!« blaffte Cranston. »Decke sein Gesicht zu!«
»Wenn Ihr mir die drei
Pence bezahlt, Sir John, dann gebe ich den Leichnam frei.«
Cranston nahm noch einen
Schluck aus seinem wunderbaren Weinschlauch. »In Ordnung«,
erwiderte er verdrossen. »Um Himmels willen, Athelstan, laß
uns hier verschwinden!«
Sieben
Cranston und Athelstan
kehrten zum Stall zurück, um ihre Pferde zu holen.
»Noch einen Becher
Roten, Bruder?«
»Nein, Sir John. Genug
des bösen Trankes für diesen Tag. Sagt, ist Euch eingefallen,
woher Ihr Sturmeys Namen kanntet?«
Cranston schüttelte den
Kopf. »Aber eins weiß ich jetzt, Bruder: Sturmey wurde
ermordet, weil er etwas wußte, das Rätsel der ausgeraubten
Truhe lösen konnte.« Cranston starrte zwei Leprakranken nach,
die ganz in Schwarz gekleidet die Straße hinunterschlichen, voller
Angst, daß man sie erkennen könnte. »Sturmey wurde nach
Billingsgate gelockt«, fuhr er fort. »Aber wieso? Was konnte
einen angesehenen Schlosser dazu bringen, sich an Verrat und Raub zu
beteiligen?«
»Es gibt nur eine
Antwort, Sir John. Ich bezweifle, daß er sich hat bestechen lassen;
also lautet die Antwort: Erpressung. Wenn Ihr Euer wunderbares Gedächtnis
durchforscht, werdet Ihr bestimmt etwas ziemlich Unappetitliches über
Master Sturmey herausfinden.«
Cranston nickte. Sie führten
die Pferde weiter die Straße hinauf, wo ihre Aufmerksamkeit auf eine
Menschenmenge gelenkt wurde, die eine gespenstische, in ein Ziegenfell
gekleidete Gestalt umringte. Der Mann hatte langes, graues Haar, das ihm
bis auf die Schultern reichte, und die untere Hälfte seines Gesichts
war unter einem dichten, buschigen Bart verborgen; seltsame, wahnsinnige
Augen musterten die Menge, die fasziniert war von diesem Propheten des
Weltuntergangs und dem hohen, brennenden Kreuz in seiner Hand. Das Kreuz,
dessen Querbalken mit Pech und Teer bestrichen war, loderte wild, und die
Flammen und der schwarze Rauch verliehen den Warnungen des
Weitere Kostenlose Bücher