Der Zorn Gottes
Schalen
lebendig gekocht wurden.
»Wo gehen wir hin?«
fragte Athelstan leise.
Cranston deutete auf eine große
Schenke, die schön für sich am anderen Ende des Marktes stand.
»Zum ›Narrenschiff‹«,
erklärte er.
Athelstan stöhnte.
»Oh, Sir John, Ihr habt genug Rotwein getrunken.«
»Scheiß darauf!«
schrie Cranston durch den Lärm.
»Wir sind hier, um den
Menschenfischer zu treffen.« Aber weiter wollte er nichts sagen.
Im Hof der Taverne nahm ein
Stallknecht ihnen die Pferde ab, und sie betraten den großen
Schankraum, in dem es nach Bier, Ale und Pökelfleisch stank.
»Euer Diener.«
Ein krummbeiniger Kneipenwirt berührte die Locke auf seiner Stirn,
und seine kleinen gierigen Augen blickten unverwandt auf die schwere Börse
an Sir Johns Gürtel.
»Einen Becher Roten für
mich, und ein wenig…«
»Ale«, half
Athelstan.
»Ein wenig Ale für
meinen Schreiber, und noch einen Becher Roten für den
Menschenfischer. Ich bin Sir John Cranston, der Coroner, und wünsche
ihn zu sprechen.«
Der Wirt wurde noch unterwürfiger.
Er geleitete Cranston und Athelstan großartig wie zwei Fürsten
zu einem kleinen Alkoven mit einem Tisch unter dem Fenster, das einen
Blick über den Fluß gewährte. Er holte zwei große
Becher Wein und einen Humpen Ale und versicherte Sir John wortreich, daß
er bereits einen Jungen losgeschickt habe, der den Menschenfischer holen
solle.
»Wer ist das?«
fragte Athelstan.
»Der Menschenfischer«,
antwortete Cranston und trank einen Schluck aus seinem Becher, »ist
ein Beamter der Krone. Es sind insgesamt fünf, die alle am Flußufer
arbeiten. Dieser hier ist zuständig von der Fish Wharf in St. Botolph
bis Petty Wales beim Tower.«
»Ja, aber was tun sie?«
»Sie fischen Tote aus
der Themse. Mordopfer, Selbstmörder, Verunglückte, Betrunkene.
Fischen sie einen Lebenden heraus, erhalten sie zwei Pence. Für ein
Mordopfer gibt es drei und für Selbstmörder und Verunglückte
bloß einen Penny.«
»Sir John.«
Athelstan blickte auf. Eine
hochgewachsene, dürre Gestalt war lautlos erschienen. Cranston
deutete mit einer Handbewegung auf den Schemel und den Wein.
»Seid unser Gast, Sir.«
Der Mann trat aus dem
Schatten hervor. Als er sich hinsetze, hatte Athelstan Mühe, seine
Abscheu zu verbergen. Der Kerl hatte rotes, fettiges, strähniges
Haar, das ihm bis auf die Schulter reichte und ein Gesicht umrahmte, das düster
wie eine Totenmaske war: alabasterweiß, mit Fischmaul, Stumpfnase
und schwarzen Knopfaugen. Cranston machte die beiden miteinander bekannt,
und der Menschenfischer musterte den Ordensbruder mit ausdrucksloser
Miene.
»Seid Ihr gekommen, um
den Toten anzusehen?«
Athelstan nickte.
»Dümpelte an der
Oberfläche herum«, sagte der Mann. »Dümpelte wie ein
Korken. Wißt Ihr, die meisten Mordopfer werden mit Steinen
beschwert, aber dieser war merkwürdig.«
»Wieso?«
»Na ja, seht Ihr, Sir
John« - der Mann nippte an seinem Weinbecher; sein Gesicht war
starr, und er zuckte nicht mit der Wimper , »es kommt sehr selten
vor, daß ich meine Kunden kennenlerne, bevor sie sterben. Aber
gestern, spätnachmittags, kurz nachdem der Markt geschlossen war, kam
ich aus St. Mary at Hill, um meinen gewohnten Gang am Kai zu machen. Ich
studiere gern den Fluß, die Strömungen, den Wind.« Der
seltsame Bursche begann sich für sein Thema zu erwärmen. »Der
Fluß verrät einem manches. Wenn das Wasser rauh ist oder ein
starker Wind geht, dann werden die Leichen in die Strommitte
hinausgetragen. Gestern denke ich noch: Der Fluß ist ruhig, er will
mir wohl. Die Toten werden ans Ufer gespült.«
Athelstan verbarg ein
Schaudern.
»Und da geht nun ein
Mann auf und ab, auf und ab, als ob er auf jemanden wartet. Oh, denke ich,
das ist ein Selbstmörder, ganz klar. Aber ich will nicht gierig sein,
und gehe weiter. Der Mann steht hinter den Fischständen, zwischen den
Ständen und dem Fluß. Ich höre einen Schrei. Ich drehe
mich um. Der Mann ist weg.« Der Kerl nippte an seinem Weinbecher.
»Ich renne am Kai entlang zurück, und da ist er: dümpelt
im Fluß mit ausgebreiteten Armen, und aus einer Wunde in seiner
Brust strömt das Blut. Ich werfe meine Angelschnur aus.« Der
Kerl klopfte auf die Lederbeutel an seinem Gürtel. »Ich habe
ihn hereingezogen, ihm mein Zeichen an die Brust geheftet und in meine
Werkstatt
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