Der Zorn Gottes
das, Sir John? Wollt Ihr mir Angst machen?«
»Nein.« Cranstons
Gesicht blieb ernst. »Nur dieses eine Mal habe ich so etwas
miterlebt und dabei eine Lektion gelernt. Bruder, ich kann gut
unterscheiden zwischen den wahren Mächten der Finsternis und den
zahllosen Gaukeleien der Scharlatane. Glaub mir, ich habe alles gesehen.
Stimmen in der Nacht, Fußspuren auf staubigen Treppen, Klirren im
Keller.« Er grinste. »Also vertraue nur auf den alten John
Cranston, Bruder. Bring du dein Ol und dein Weihwasser auf alle Fälle
mit, aber laß den alten John tun, was er für richtig hält.«
Acht
Cranston und Athelstan hatten
St. Erconwald bald erreicht. Während der Coroner es sich im Hause des
Priesters gemütlich machte, schloß Athelstan die Kirche auf und
kniete am Lettner nieder, um sein Stundengebet zu sprechen. Er hatte Mühe,
sich auf die Worte des Psalmendichters zu konzentrieren, und die Worte
»Ein Meer von Plagen« ließen ihn nicht los. Er hielt
inne und dachte an die Probleme, die ihn und Cranston erwarteten, und an
die Möglichkeit, daß der Regent sogar in dieser kleinen
Pfarrgemeinde von St. Erconwald seine Spitzel hatte. Der Bruder hockte
sich auf die Fersen und schaute zum Kruzifix hinauf. Er hoffte, die Prüfung
heute abend würde die erste und die letzte sein; im stillen gelobte
Athelstan, dann alle seine Kräfte diesem Ira Dei und den
schrecklichen Mordtaten zu widmen, die im Rathaus und anderswo begangen
worden waren.
Er spähte zu der neuen,
wunderschön gemeißelten Statue des Hl. Erconwald hinüber,
des Schutzheiligen seiner Pfarrei, und er lächelte. Erconwald war ein
großer Bischof in London gewesen, ein Mann, der in dieser
betriebsamen Stadt mit vielen Problemen zu kämpfen hatte, bevor er
sich in die Einsamkeit eines Klosters in Barking zurückzog. Voller
Mitgefühl betrachtete der Bruder das starre, fromme Gesicht und war
so in Gedanken versunken, daß ihn eine sanfte Berührung an der
Schulter zusammenfahren ließ.
»Pater, es tut mir
leid.«
Athelstan drehte sich um und
sah Benedicta, die besorgt auf ihn herabblickte.
»Pater, Ihr habt doch
gesagt, ich soll zur Vesper wieder herkommen?«
Athelstan rieb sich die Augen
und lächelte. »Benedicta, schön, daß du gekommen
bist. Warte hier.«
Er stieg die Altarstufen
hinauf, öffnete das Tabernakel und nahm die Heiligen Öle heraus
und aus der Sakristei eine Flasche mit Weihwasser und ein Aspergillum. Er
tat alles in eine kleine Ledertasche und kam wieder in die Kirche.
»Ich nehme an«,
sagte er mit gespielter Strenge, »daß in der Pfarrei alles in
Ordnung ist?«
»Still wie das Meer vor
dem Sturm«, neckte sie.
Sie verließen die
Kirche, schlössen ab und gingen hinüber zu Cranston, der mit
weit offenem Mund und zurückgelegtem Kopf auf Athelstans einzigem
Stuhl saß und schnarchte, was das Zeug hielt, während
Bonaventura zusammengerollt auf seinem breiten Schoß ruhte.
»Oh, du dummer Kater«,
flüsterte Athelstan und hob ihn behutsam herunter, ehe er Cranston
wachrüttelte.
Der Coroner erwachte wie
üblich mit einem Schmatzen, begrüßte Benedicta und ging
dann auf Athelstans Drängen in die Speisekammer, um sich Hände
und Gesicht mit kaltem Wasser zu waschen. Erfrischt kehrte er zurück
und dröhnte, nun sei er bereit, es mit dem Teufel und jedem anderen
aufzunehmen.
Die drei verließen St.
Erconwald, ein jeder versunken in seine Vorstellung von dem, was geschehen
würde, und sie wanderten durch die engen Gassen und Sträßchen
von Southwark. Es war kurz vor der Abenddämmerung. Geschäfte und
Stände waren geschlossen, und die Menschen gingen nach Hause. Die
Geschäfte des Tages waren getan, und die wilden Nachtfalken von
Southwark, die wüsten Zecher und Bewohner der Unterwelt, würden
erst aus ihren Rattenlöchern kommen, wenn es vollends dunkel wäre.
Bevor sie die breite Hauptstraße überquerten, die zur London
Bridge führte, blieben sie stehen und sahen zu, wie ein Trupp Ritter
zu Pferde vorüberzog, strahlend bunt in ihren vielfarbigen Wappenmänteln.
Mächtige Kriegshelme schwangen an den Sattelhörnern. Knappen und
Pagen folgten ihnen mit Schilden und Lanzen sowie zwei Reihen von
staubigen Bogenschützen, die von Southwark zur alten Straße
nach Süden, nach Dover, marschierten.
»Jetzt sind viele von
denen unterwegs«, bemerkte Cranston. »Die Franzosen
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