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Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Titel: Der zugeteilte Rentner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Schulte
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um ihnen bei ihren alltäglichen Problemen zu helfen. Wieder andere baten die Schwestern um Erlösung. Doch weder der einfachsten, noch der grausamsten Bitte kam einer nach. Kein Platz zum Entspannen oder zum Altwerden. Die Kälte blieb das einzig Konstante in diesem Haus. Die Heizung schalteten sie nur morgens für ein paar Stunden ein. Das musste reichen. Energieknappheit hieß es immer. Gas und Öl gehörten zum Bereich Luxus und damit nicht ins Altenheim. Für Maximilian bedeutete es kalte Hände und Füße, wenigstens gab es Decken. Die fehlende Wärme kam nur durch Essen und Getränke. Doch Maximilian freute sich nicht einmal auf seinen Tee, denn die Sorte, die sie kochten hieß „Kamillen-Traum“ und schmeckte nach Füßen. Der Kaffee war auch nicht besser, genauso dünn und abstoßend. Selbst der Orangensaft musste nachgezuckert werden, damit er überhaupt einen Geschmack entwickelte. Zu heißen Getränken gab es immer Tabletten. Früher schluckte Maximilian nie etwas, er war auch nie krank. Jetzt nahm er dreimal täglich ein Diazepam, ein Neuroleptikum und ein Antidepressiva. Oder wie er das sah: eine blaue, eine rote und eine gelbe Pille. Die Blaue war für die Traumwelt, sie half ruhig zu bleiben und einzuschlafen. Die Rote war eine richtige Arznei, angeblich litt er an einer Psychose, die sie damit behandelten. Wer wissen wollte gegen was die Gelbe war, musste den Pflegedienstleiter fragen, aber jeder bekam sie hier – vermutlich hatten sie ein Geschäft mit einer Pharmafirma laufen: gelbe Pillen für Traumreisen, gelbe Pillen gegen pralle Schecks.
„Das ist meins!“, fauchte eine Rentnerin Maximilian an.
Sie umklammerte ihr Kissen und versuchte es vor ihm zu verbergen. „Das nimmt mir keiner weg! Das ist meins! Ihr seid alle Diebe!“
Obwohl er nur seit ein paar Tage hier wohnte, hatte er gelernt, auf nichts zu reagieren. Die Bewohner fragten meist wirres Zeugs und wer sich darauf einließ, wurde genauso verrückt. Einfach an was anderes denken. Oder einer imaginären Musik lauschen. Damm, damm, dada.
„Wenn mein Sohn mich holt, dann wird er Euch allen was erzählen. Dann müsst Ihr alles wieder hergeben. Alles!“
Am liebsten wäre Maximilian in seinem Zimmer geblieben, hätte man ihn gelassen. Doch selbst dieses kleine Vergnügen gönnten sie ihm nicht. Um 4.30 Uhr wurden sie geweckt. Wer sich nicht selbst wusch, wurde kurz abgeseift oder liegen gelassen. Dann kamen die Putzfrauen. Und nach ihnen eine studentische Aushilfe, die alle mobilen Bewohner zu einem Beschäftigungs- und Bewegungsprogramm abholte. Meistens handelte es sich um irgendwelche Seminare, die völlig überlaufen waren, wie früher an der Uni. Damals brachte man seinen eigenen Hocker mit, jetzt war es der Rollstuhl.
„Was soll ich denn noch? Ich bin doch nur noch eine Last! Lasst mich endlich sterben!“
Ganz gleich, wie schlimm die Aussagen der Bewohner waren, die Pfleger und Hilfskräfte antworteten mit einem Lächeln.
„Aber Herr Kraus, so wild ist es doch gar nicht. Wollen sie nicht mir ihren Freunden etwas Mühle spielen?“
„Ich will sterben!“
„Dafür sind Sie noch viel zu jung. Sie können noch so viel erleben.“
„Kann ich morgen sterben?“
„Das liegt nicht in unserer Hand.“
Viel schlimmer als die Pfleger und die verwirrten Alten, die seelenentleert durch die Gänge trotteten, war nur der Geruch, der das Gebäude umklammerte. Es stank nach Schweiß und Urin, muffige Luft, die sich nur schwer zum Fenster heraus bitten ließ. Wenn sich eins der Zimmer öffnete, in dem ein Dekubitus-Patient lag, roch es nach Tod und Verwesung. Die Menschen zerfielen, lösten sich auf, wie in Soylent Green. Doch es kamen ständig neue nach, so dass die Pflegedienstleistung kaum die Übersicht behielt, wie viele gerade gestorben waren und wie viele aufgenommen wurden. Eigentlich dokumentierten sie alles. Es gab eine Liste, um die getane Arbeit einzutragen. Es gab Listen, wenn einer der Bewohner auffällig wurde. Es gab Listen, um die Medikamente einzutragen. Und eine Liste für die Beschwerden.
„Ich muss nach Hause. Was glauben Sie denn, was mein Mann sagt, wenn ich so spät nach Hause komme?“, sagte eine alte Frau und versuchte an einer Schwester vorbeizukommen.
Die Pflegerin sagte nichts, sondern hielt ihr nur eine Tablette hin.
„Wenn mein Mann davon erfährt, dann bekommen Sie was zu hören.“
„Frau Gerber, ihr Mann wird nicht kommen!“
Doch die alte Frau ignorierte ihre Antwort.
„Ich setze mich jetzt hin und

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