Der zugeteilte Rentner (German Edition)
auf den Straßen. Maximilian schon gar nicht.
Bestimmt hielt sich Maximilian in der Nähe auf. Vielleicht lief er noch durchs Treppenhaus auf dem Weg nach unten. Ihr einfach den Hund anzudrehen – er machte es sich einfach, jetzt sollte sie für seinen Hund sorgen. Clara nahm ihre Schlüssel und rannte aus der Wohnung. Dann zum Aufzug, doch der steckte irgendwo im Neunten. Sie drückte den Knopf und in den oberen Stockwerken klingelte und rumpelte es. Vermutlich hatte jemand die Tür offen gelassen. Es half nichts, das bedeutete Treppe. Damit es schneller ging, sprang sie zwei, drei Stufen auf einmal herunter. Als sie das Erdgeschoss erreichte und die Tür aufriss, prallte sie mit dem Postboten zusammen. Von der Wucht getroffen taumelte er und fiel. Er strampelte und drehte sich wie ein umgeworfenes Insekt, dann erst rappelte er sich auf.
„Sie“, ächzte er. „Sie sind nicht zufällig Frau Januszewski. Ich habe bei ihnen geklingelt.“
Zuerst wollte Clara an dem Mann vorbei und nach draußen rennen, um nach Maximilian zu schauen, aber der Postbote hielt ihr bereits einen Brief und ein Tablett zum Unterschreiben entgegen.
„Ein Einschreiben!“
Clara überlegte. Einschreiben gehörten zur schlechten Seite des Lebens. Vielleicht sollte sie einfach behaupten, sie wäre gar nicht sie selbst. Aber vielleicht war es etwas Wichtiges, etwas von ihren Eltern oder von der Uni, vielleicht hatte sie doch den Test bestanden. Schließlich unterschrieb sie und im gleichen Augenblick, als sie las von wem der Brief stammte, bereute sie ihre Entscheidung. Das Schreiben kann von der Hausverwaltung, drinnen stand etwas von Aufwieglung der Nachbarn, Chaos, Zerstörung von Privateigentum. Die Einzelheiten lasen sich wie der Steckbrief eines Terroristen – jedenfalls kündigten sie ihr die Wohnung zum nächsten Ersten, was sie aber mit tiefem Bedauern unterstrichen. Außerdem wünschten sie ihr viel Glück für die Zukunft.
Zuerst drehte sich alles, der Boden schwankte und der Horizont hing schief, dann stieg ihr die Hitze in den Kopf. Sie hatte so lange gebraucht, um eine Wohnung zu einem akzeptablen Preis zu ergattern; fast zweiundzwanzig Monate dauerte ihre Suche. Kellerwohnungen hatte sie sich angeschaut, Sous-Terrain-Wohnungen, Maisonettes, Wohnwagen – das ganze Programm. Und jetzt? Alles aufgeben und zurücklassen, die Koffer packen und weiterziehen? Allein das Heraussuchen der Wohnzimmerwandfarbe hatte Monate gedauert. Alles war perfekt aufeinander abgestimmt. Jeder Quadratzentimeter. Alles umsonst! Und an allem war Maximilian schuld.
Versicherungsfreiheit
Die folgenden Tage verstrichen, und Maximilian blieb fern. Es war wie früher. Dennoch musste Clara sich an ihre alte Freiheit gewöhnen, und das dauerte. Wenn sie allein war und sich umzog, schloss sie immer noch die Tür. Abends räumte sie mehrmals die Wohnung auf, desinfizierte täglich das Sofa, den Tisch, den Stuhl. Kaum ging sie aus dem Zimmer, überkam sie das Gefühl, irgendwas wäre umgestellt worden. Fast war es so, als wäre er noch anwesend, ständig dachte sie, dass er im nächsten Moment käme. Und irgendwie freute sie sich sogar darauf. Er hatte sie ziemlich herumgescheucht. 500 Gramm hatte sie während seines Besuches verloren. Nicht schlecht. Wenn er zwei Monate bliebe, hätte sie ihr Traumgewicht.
„Warum hast du ihn denn gehen lassen?“
Zoe setzte sich auf die Couch – dort, wo sonst immer Maximilian saß und fernsah.
„Ich vermisse ihn gar nicht! Es waren nur ein paar Tage. Wieso mache ich mich überhaupt so verrückt? Ich war vorher allein und da ging es mir auch gut, oder?“
Clara wollte etwas tun, aber was? Sie konnte kaum ruhig bleiben – sobald sie sich setzte oder aufs Bett legte, stand sie gleich wieder auf, lief durch die Wohnung, schaute aus dem Fenster und rannte zur Tür, nur um nachzusehen, ob sich jemand im Flur befand.
„Außerdem habe ich jetzt ein Haustier: einen Dackel!“
Die beiden Frauen schauten auf den Hund, der sich in einen Karton verkrochen hatte und nur Hinterpfote und Schwanz raushängen ließ.
„Komm her, Kleiner! Na, komm!“
Doch außer einem leichten Beinzucken, folgte keine Reaktion.
„Komm her! Komm her!“
Der Karton rumpelte und aus dem Inneren folgte ein Knurren.
„Hast du schon einen Namen für ihn?“
Clara hatte sich schon viele Namen ausgedacht. Von „Tobi“ bis „Knut“, „Wurst“ und „Argus“ war alles dabei, sogar „Maximilian“. Trotzdem passte keiner. Der Dackel wollte anonym bleiben.
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