Der zugeteilte Rentner (German Edition)
nicht genießen konnte, ihm gefiel sein neues Domizil. Eigentlich empfand er sich selbst sogar als einen sehr sympathischen Kerl, ein Zugewinn für jede Lebensgemeinschaft. Clara hätte froh sein müssen, ihn als Mitbewohner zu gewinnen. Doch von all dem hielt sie nur wenig. Sie wollte ihn loswerden, er würde ihr Leben, ihr Glück zerstören. Natürlich lag es an ihm, dass sie nicht mehr mit Finn zusammen war und für den Ärger mit ihren Nachbarn trug er ebenfalls die Schuld. Aber dafür bekam sie ihn doch. In seinen Phantasien sah er sich am sonntäglichen Frühstückstisch mit Tee, Kaffee, Croissants und Kuchen – das Einzige, das er wollte war ein neues Zuhause. Mehr nicht.
Aber so weit kam es nicht. Er schaffte es nur, Claras Leben zu ruinieren. Dabei mochte er sie – auch wenn sie manchmal ziemlich überdreht reagierte. Zwischen den beiden funktionierte es einfach nicht. Ganz gleich, was er plante, es endete im Chaos. Vielleicht lebten sie in zu unterschiedlichen Welten, waren einfach zu inkompatibel. Ganz gleich, was er sich erhoffte, es löste sich vor seinen Augen auf. Wo war das Glück nach dem er sich sehnte? Seine verzweifelten Versuche änderten nichts.
Für ihn endete alles hier und jetzt.
Frau Aschenbach öffnete die Tür des Transporters.
„Füllen Sie das bitte noch aus!“
Sie reichte ihm ein Aufnahmegesuch und einen Stift, zusätzlich bekam er eine glänzende Informationsbroschüre mit Prägedruck auf der Titelseite und einem kleinen Hologramm-Logo links oben in der Ecke. „Altenheim St. Martin“ stand auf dem Cover, „Ein neuer Anfang“.
„Das können Sie später lesen. Nur das Formular brauche ich jetzt!“
Auf mehreren Seiten verlangten sie nach seinen persönlichen Daten. Der Grund seines Aufnahmegesuchs war schon eingetragen: „Auf eigenen Wunsch“. Auch die Kreuzchen standen schon in den entsprechenden Kästchen. Zumindest konnte er noch zwischen normalem, vegetarischem und zuckerfreiem Essen wählen. Dann eine Unterschrift. Fertig.
Frau Aschenbach nahm ihm das Formular aus den Händen, steckte es in eine Folie, die wiederum in einen Ordner. Dann führte sie ihn zu seinem Sitz, verriegelte die Tür von außen und schloss ab.
„Damit Sie nicht rausfallen!“
Langsam setzte sich der Wagen in Bewegung. Aus einem kleinen seitlichen Fenster sah er die Hochhäuser, die mit dem Himmel, den Bäumen und dem Rest der Stadt zurückblieben, während sich das Auto entfernte. Irgendwo da oben wohnte Clara. Jetzt war sie ihn los.
Durchführung
Es kratzte und polterte an Claras Tür. Hoffentlich standen nicht die Nachbarn davor, die sie wieder beschuldigten, die neue Hausordnung aufgehängt zu haben. Sie musste vorsichtig sein, die Leute in diesem Viertel verhielten sich unberechenbar. Den netten Iraner, der unter ihr wohnte, warf man während eines Streits aus dem Fenster. Einem deutschen Elektriker zündeten sie sogar die Wohnung an. Das Beste, was man in diesem Haus machen konnte, war unsichtbar werden und bloß keinen Ärger machen. Sobald man eigenartige Geräusche aus der Wohnung eines Nachbarn hörte, ging man weiter. Nie Fragen stellen. Manchmal kam die Polizei hierher, manchmal nicht. Dann klopften sie überall und stellten ihre Fragen: „Haben Sie davon nichts mitbekommen? Sie müssen doch etwas gehört haben. Ist Ihnen nie etwas aufgefallen?“ Bloß nichts sagen. Selbst Darwin wusste das. Überleben bedeutete Evolution; und Evolution bedeutete Anpassung. Ganz gleich, ob man damit das Tier- oder das Nachbarschaftsreich beschrieb – es passte.
Wieder kratzte es an der Tür. Vielleicht Maximilian. Er musste es sein. Er würde sich entschuldigen, mit den Augen rollen und dann wieder einziehen wollen. Niemals änderte er sich, niemals wurde er erwachsen. Was sollte sie nur mit ihm machen? So ein Trotzkopf!
„Das habe ich mir gleich ged- …“
Doch vor der Tür befand sich weder der alte Mann noch ein Nachbar. Es handelte sich um Maximilians Dackel, der an ihre Tür angebunden war. Ein kleiner zusammen gefalteter Zettel lag ebenfalls vor ihrer Tür. „Tut mir leid!“, stand da drauf. „Bitte kümmern sie sich um meinen Dackel! Er hat übrigens keinen Namen, vielleicht möchten sie ihm einen geben!“ Die Unterschrift fehlte.
Clara nahm die Hundeleine und im gleichen Augenblick lief der Dackel in die Wohnung. Er zog sie an der Leine hinterher, bis sie endlich das Fenster erreichten. Dann sprang er aufs Sofa und blickte heraus. Clara folgte ihm – nichts zu sehen. Kaum ein Mensch
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