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Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Titel: Der zugeteilte Rentner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Schulte
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warte, bis er kommt. Ich muss auf ihn warten. Er kommt immer, um mich abzuholen. Das macht er immer. Er kommt.“
Maximilian kannte diese Geschichten. Dieses Theater spielte sich minütlich ab. Meistens versuchte er, die Geschehnisse um ihn herum zu ignorieren. Wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, wäre er davon gelaufen. Er dachte daran, eine Nachricht heimlich nach außen zu schleusen und um Hilfe zu bitten, auf einer Serviette oder so. Aber an wen? Außerdem war er nicht der Einzige mit solchen Ideen. Im Papierkorb der Oberschwester lagen Dutzende dieser Hilferufe – täglich.
„Ich suche die Frau Meier!“
Eine zierliche alte Frau stand plötzlich vor Maximilan und lächelte ihn an.
„Kennen Sie die Frau Meier? Wissen Sie, wo ich sie finden kann?“
Doch bevor er seine Sprache wieder fand, kam eine Pflegehelferin vorbei und führte die alte Frau fort.
„Kommen Sie einfach mit!“
„Ich suche die Frau Meier!“
„Aber das sind Sie doch!“
Als ein nackter Mann um die Ecke stolperte, dessen ganzer Körper mit Kot eingerieben war, und der unaufhörlich lachte, verließ die Pflegehelferin die alte Frau und versuchte den Nackten einzufangen. Doch dieser hielt es für ein lustiges Spiel und versuchte laut kreischend, halb hüpfend, zu entwischen.
Das Altenheim war ein Irrenhaus. Wer nicht verrückt war, wurde es hier. Das Leid der Menschen zerstörte Insassen und Pfleger gleichermaßen. Die wenigsten Angestellten hielten es länger als ein paar Wochen aus. Die Erlösung fand sich nur in Form der Kündigung. Nur die ganz Harten blieben, meistens Ausländer. Aber am Ende holten sich fast alle am Medikamentenschrank Antidepressiva. „Wir haben immer genug Medikamente!“, belauschte Maximilian einen Pfleger, der einen Neuen einwies. „Hier sterben so viele Menschen!“

Erst gegen Abend wurde es im Altenheim ruhiger. Die meisten der Bewohner hatten tagsüber so viel Valium geschluckt, dass sie zombieähnlich auf den Gängen umherstreiften oder zusammensackten und liegen blieben, bis sie abgeholt wurden.

Die Leuchtstoffröhren schmerzten in Maximilians Augen, alles in weiß, Lampen an Decken und Ecken und sogar im Boden. Eine Tür strahlte besonders – wenn einer aus dem Rollstuhl fiel oder um drei die Pillenrunde stattfand, strömten aus ihr die Altenpfleger und Altenpflegerhilfen.
Gegenüber von Maximilian saßen vier ältere Damen. Seit einer Weile musterten sie ihn. Ständig kicherten sie und gurten wie Tauben auf dem Dach, streckten ihre Köpfe nach vorne und zurück, dann ging eine der Frauen auf ihn zu:
„Wem gehörst’n du?“
Maximilian wollte in dem Augenblick alles, nur kein Gespräch. In seiner Altersklasse fanden sich nicht mehr so viele Männer, die für eine Partnerschaft in Frage kamen. Aber warum sollte er das ausbaden?
„Der Anna!“, meinte Maximilian. „Der Anna gehör’ ich!“
Er zeigte auf eine große Gruppe mit Rentnerinnen, die am Tisch saßen und Todesmeldungen aus Zeitungen ausschnitten. Sofort steckten die Frauen ihre Köpfe zusammen und gurten. Mehrmals erklangen die Worte „Anna“, „Welche Anna?“, „Diese Anna?“ und hin und wieder auch „Ich glaub’s nicht!“. Zumindest sorgte dieses Rätsel für einen Zeitgewinn. Bis die Damen merkten, dass er sie belogen hatte, wäre er längst auf seinem Zimmer. Irgendein Pfleger hätte ihn eingeschlossen. Unantastbar. Doch bis dahin dauerte es noch; vorher gab es Essen, wahrscheinlich Suppe, fast täglich stand Suppe auf dem Speiseplan. Angeblich erleichterte es die Nahrungsaufnahme. Doch Maximilian fürchtete sich vor den Mahlzeiten. Wer nicht schnell genug aß, dem wurde nachgeholfen. Sie hielten den Bewohnern die Nase zu und stopften dann: „Einer für Ihren Sohn. Einer für Ihre Tochter. Einer für Ihren Enkel.“ So viel Familie besaß Maximilian gar nicht, wie er essen musste.
„Gehst du demnächst an die Bar?“
Ein alter Mann saß in Maximilians Nähe. Er lächelte ihn an. Arme und Beine waren mit Gurten an seinem Rollstuhl fixiert.
„Kann schon sein! Soll ich dir einen Cocktail mitbringen?“
Natürlich gab es keine richtige Bar mit Cocktails, die Insassen bezeichneten so den Medikamentenraum in dem eine studentische Aushilfe saß und, je nach Wünschen und Leiden, Tabletten verteilte.
„Ich glaub’ heute brauch ich was Starkes. Bring mir ein Haloperidol und zwei Valium. Nein, mach drei draus.“
Dann erblickte Maximilian ein bekanntes Gesicht. Ein großer breitschultriger Mann saß zusammengekauert auf einem

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