Der Zusammenbruch
Lange zog.
Zwei Stunden verrannen, die 106er warteten immer noch unbeweglich vor der endlosen Flut, die an ihnen vorüberzog. Die Leute standen in der Sonnenglut, den Tornister auf dem Rücken, das Gewehr bei Fuß, und wurden schließlich aufsässig vor Ungeduld.»Scheint, wir sind Nachtrab!« ertönte die prahlerische Stimme Loubets.
Aber Chouteau ließ sich ganz hinreißen.
»Damit sie uns loswerden, deshalb lassen sie uns hier kochen. Wir waren doch zuerst hier, wir hätten auch zuerst hinüber müssen.«
Und da man in der weiten, auf der andern Seite des Kanals gelegenen fruchtbaren Ebene und den ebenen Wegen zwischen den Hopfengärten und den reifen Getreidefeldern jetzt klar erkennen konnte, die Truppen gingen zurück und machten den gleichen Weg wie am Tage vorher, nur in umgekehrter Richtung, so liefen jetzt allerlei höhnische, ärgerliche Spottreden umher.
»Wir reißen also aus!« fing Choteau wieder an. »Na ja! ist ja lächerlich, gegen den Feind marschieren, mit dem ihr uns seit neulich morgens die Ohren vollschreit!... Nein, wahrhaftig, das ist doch zu frech! Da kommen wir an und reißen wieder aus, ohne nur die Zeit zu haben, unsere Suppe herunterzuschlucken!«
Häufiger ertönte ärgerliches Gelächter, und Maurice, der nahe bei Chouteau stand, gab ihm recht. Wenn man da seit zwei Stunden wie die Pfähle stehenbleiben konnte, warum ließ man sie dann nicht erst ihre Suppe kochen und essen? Der Hunger packte sie wieder, sie fühlten in sich einen schwarzen Groll, weil sie ihre Kochkessel zu früh ausgegossen hatten und die Notwendigkeit dieser Überstürzung nicht begreifen konnten, die ihnen vielmehr dumm und feige vorkam. Wirklich, schöne Hasen!
Leutnant Rochas aber schimpfte auf den Sergeanten Sapin und maß ihm die Schuld an der schlechten Haltung seiner Leute bei. Von dem Lärm angezogen, trat Hauptmann Beaudouin näher.
»Ruhe im Gliede!«
Jean, als alter Soldat aus Italien, in Manneszucht gedrillt, sah nach Maurice, dem die Übeln, zügellosen Hohnreden Chouteaus Spaß zu machen schienen; er wunderte sich, wie ein Herr, ein feiner Junge, der so viel gelernt hatte, so etwas billigen konnte, was an sich richtig sein mochte, was man aber doch nicht sagte. Wenn jeder Soldat anfinge, seine Vorgesetzten zu tadeln und ihnen gute Ratschlage zu geben, dann würde es sicher nicht weit gehen.
Endlich nach noch einer Stunde Wartezeit erhielten die 106er Befehl zum Vorrücken. Allein die Brücke war immer noch mit den letzten Leuten der Division angefüllt, was die ärgerlichste Anordnung verursachte. Mehrere Regimenter vermischten sich, einzelne Kompanien gingen trotz allem hinüber und wurden mitgerissen, andere wieder wurden zurückgedrängt und traten am Rande der Straße auf der Stelle. Um die Verwirrung auf den Höhepunkt zu bringen, erzwang sich eine Schwadron Kavallerie den Übergang und drängte die Nachzügler, die die Infanterie schon zurückzulassen begann, in die benachbarten Felder zurück. Gegen Ende der ersten Wegstunde schleppte sich schon ein ganzer, sich immer mehr in die Länge ziehender, wirrer Haufen hinterher, wie auf einem Vergnügungsbummel.
So kam es, daß Jean und seine Korporalschaft, die er nicht verlassen wollte, sich ganz hintenan verirrt in einem Hohlweg befanden. Die 106er waren verschwunden; kein Mann, nicht mal einer der Offiziere der Kompanie war mehr zu sehen. Da waren nur noch vereinzelte Mannschaften, ein Durcheinander von Unbekannten, die seit Beginn des Marsches die Kräfte verloren hatten, und jeder lief nach seinem Gefallen, wo er gerade einen Weg fand. Die Sonne schien niederdrückend, es war sehr heiß, und der Tornister, durch das Zeltund die vielfachen Gegenstände, die ihn aufweiteten, beschwert, lag schrecklich schwer auf den Schultern. Viele hatten sich noch nicht daran gewöhnt, ihn zu tragen, und waren schon durch den dicken Feldrock behindert, der wie ein Mantel aus Blei wirkte. Plötzlich hielt ein kleiner, blasser Soldat, dem das Wasser schon in den Augen stand, an und warf seinen Tornister aufseufzend in den Graben, mit dem tiefen Seufzer, mit dem der Mensch, der im Todeskampf gelegen hat, wieder Freude am Dasein gewinnt.
»Da, der hat recht!« murmelte Chouteau.
Indessen ging er doch noch weiter, den Rücken gekrümmt unter seiner Last. Aber nachdem zwei andere sich der ihrigen entledigt hatten, hielt er nicht länger an sich.
»Ach! weg damit!« rief er.
Mit einem Ruck warf er seinen Tornister auf die Böschung. Danke! fünfundzwanzig
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