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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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versprengte, trampelnde Menge ohne Tornister und Gewehre, ein Gemisch von Tagedieben und Bettlern, bei deren Annäherung sich die Türen in den erschreckten Dörfern schlossen.
    Ein Wiedersehen brachte jetzt Maurice vollends in Wut. Aus der Ferne ertönte dumpfes Rollen – die Reserveartillerie, die zuletzt abrückte, und deren Spitze nun plötzlich um eine Wegesecke bog; die zerstreuten Nachzügler hatten gerade noch Zeit, sich auf die anliegenden Felder zu werfen. In stolzem Trabe zog sie in Kolonne dahin, in vollkommen schöner Ordnung, ein ganzes Regiment zu sechs Batterien, den Oberst an der Spitze und die Offiziere in der Kolonne an ihren Plätzen. Mit lautem Gepolter zogen die Geschütze in gleichen, genau beobachteten Abständen vorüber, jedes mit seiner Protze, Pferden und Bedienung. In der fünften Batterie erkannte Maurice ganz genau das Geschütz seines Vetters Honoré. Der Wachtmeister saß stolz auf seinem Gaul, links neben Adolf, dem Spitzenreiter, einem hübschen blonden Menschen, der ein strammes Sattelpferd ritt, eine Fuchsstute, die wundervoll zu dem neben ihr trabenden Handpferd paßte; unter der sechsköpfigen Bedienung, die zu zwei und zwei auf den Kästen des Geschützes und der Protze saß, sah er auf seinem Platz als Richtkanonier auch Louis, einen kleinen braunen Kerl, Adolfs Kamerad, seinen »Gatten«, wie man nach der feststehenden Regel sagte, einen berittenen und einen Mann zu Fuß zu »verheiraten«. Sie kamen Maurice, der sie im Lager kennen gelernt hatte, viel größer vor als dort, und das Geschütz mit seiner Bespannung von vier Pferden, dem der von sechsen gezogene Munitionswagen folgte, erschien ihm blendend wie die Sonne, gepflegt und geputzt, als ob seine Bedienung es liebte, und die es umgebenden Tiere und Menschen zeigten Zucht und Zuneigung zueinander wie eine brave Familie; vor allem litt er schrecklich unter dem verachtungsvollen Blick, den sein Vetter Honoré auf die Nachzügler warf, und der dann plötzlich in jähes Erstaunen überging,als er auch ihn unter dieser Herde entwaffneter Menschen gewahrte. Der Vorbeimarsch ging zu Ende, und es kam schon der Fuhrpark der Batterien, die Munitions- und Proviantwagen, die Feldschmieden. Dann kamen in einer letzten Staubwolke die überzähligen Offiziere, die Ersatzmannschaften und Pferde, deren Trab sich in dem Getöse der Hufe und Räder an der nächsten Wegbiegung allmählich verlor.
    »Verflucht!« meinte Loubet, »das ist keine Kunst, sich aufzuspielen, wenn man hoch zu Wagen fährt.«
    Der Stab hatte Altkirch noch frei gefunden. Noch waren keine Preußen da. Aber General Douay war in ewiger Furcht, hart verfolgt zu werden und sie von einer Minute zur andern erscheinen zu sehen, und wollte daher bis Dannemarie vorrücken, wo die Spitzen seiner Kolonnen erst um fünf Uhr nachmittags ankamen. Jetzt war es acht, es wurde dunkel, und man konnte bei der Verwirrung der auf die Hälfte zusammengeschmolzenen Regimenter nur mit Mühe und Not das Biwak beziehen.
    Die Leute fielen vor Hunger und Müdigkeit entkräftet zu Boden. Bis zehn Uhr beinahe sah man noch welche eintreffen und ihre Kompanien suchen und nicht finden, einzeln und in kleinen Gruppen, einen jämmerlichen Schwanz von Nachzüglern und Widerspenstigen, die sich auf allen Wegen herumtrieben.
    Sobald Jean das Regiment wiedergefunden hatte, begab er sich auf die Suche nach Leutnant Rochas, um seinen Bericht zu erstatten. Er fand ihn und Hauptmann Beaudouin in einer Beratung mit dem Oberst, alle drei vor der Tür einer kleinen Herberge tief in Gedanken über den bevorstehenden Appell und voller Unruhe über den Verbleib ihrer Leute. Bei den ersten an den Leutnant gerichteten Worten des Korporalsließ der Oberst, der sie gehört hatte, ihn herantreten und nötigte ihn, alles zu erzählen. Sein langes, gelbes Gesicht, in dem die Augen bei der Weiße des dichten Haares und des langen Hängeschnurrbarts noch sehr schwarz geblieben waren, drückte stumme Verzweiflung aus.
    »Herr Oberst!« rief Hauptmann Beaudouin, ohne den Rat seines Vorgesetzten abzuwarten, »wir müssen ein halbes Dutzend von diesen Strolchen erschießen.«
    Leutnant Rochas stimmte mit einem Zucken seines Kinnes zu. Der Oberst aber machte eine Gebärde der Ohnmacht.
    »Es sind zu viele ... was wollen Sie? fast siebenhundert! Wen soll man da nehmen? ... Und dann, wenn Sie wüßten! Der General will ja nicht. Er empfindet wie ein Vater; in Afrika, sagt er, hätte er niemals einen Mann bestraft ... Nein, nein!

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