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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Verrücktheit war es, der Hunger, der ihnen den Magen verrenkte, die Schuhe, die ihnen die Füße zerrieben, dieser Leidensweg, die ungeahnte Niederlage, die sie drohend hinter sich empfanden. Keine Hoffnung auf eine Wendung zum Bessern, die Führer liefen davon, die Intendantur ernährte sie nicht einmal, der Zorn, der Ärger, die Lust, sofort ein Ende zu machen, ehe man nur angefangen hatte. Was wurde dann? Mochte die Flinte hinter dem Tornister hergehen. Und in sinnloser Wut flogen aus der endlosen Reihe der Nachzügler, die wie Verrückte lachten, die sich besonders vergnügt fühlen, die Gewehre weit verstreut ins Feld.
    Loubet ließ seins noch, ehe er sich seiner entledigte, eine hübsche Mühle machen wie einen Tambourmajorstock. Als Lapoulle seine Kameraden ihre Gewehre wegwerfen sah, glaubte er, das gehörte dazu, und machte es ihnen nach. Pache aber glaubte in einem unbestimmten Pflichtbewußtsein, das er seiner religiösen Erziehung verdankte, sie nicht nachahmen zu sollen und wurde dafür von Chouteau, der ihn als Pfaffenkind behandelte, mit Schmähungen überhäuft.
    »So'n Mucker!... Weil seine Mutter, das alte Bauernweib, ihn alle Sonntage den lieben Gott schlucken ließ!... Geh' doch hin, und hilf bei der Messe! Das ist feige, wenn du nicht mit den Kameraden zusammenhältst!«
    Maurice marschierte in düsterem Schweigen und ließ unter der Glut des Himmels den Kopf hängen. Er ging nur nochwie in einem Alpdruck voll gräßlicher Müdigkeit vorwärts, unter Sinnestäuschungen, in denen es ihm schien, als ob er auf einen Abgrund vor ihm losginge; ein Gefühl tiefster Niedergeschlagenheit zog ihn von der Kulturhöhe seiner Bildung auf ein und dieselbe niedrige Stufe mit den Unglücklichen hernieder, von denen er umgeben war.
    »Warte!« sagte er unvermittelt zu Chouteau, »Sie haben recht!«
    Maurice hatte sein Gewehr schon auf einen Steinhaufen gelegt, als Jean, der vergeblich versuchte, sich gegen dies scheußliche Imstichlassen der Waffen zu widersetzen, ihn gewahr wurde.
    »Nehmen Sie sofort Ihr Gewehr wieder auf! sofort, verstehen Sie!«
    Eine Welle wütenden Zornes war Jean plötzlich ins Gesicht gestiegen. So ruhig er für gewöhnlich war und so sehr er stets zur Versöhnlichkeit neigte, so sprühten jetzt Flammen aus seinen Augen, und er befahl mit donnernder Stimme. Seine Leute, die ihn nie so gesehen hatten, standen überrascht still.
    »Heben Sie sofort Ihr Gewehr wieder auf, oder Sie kriegen es mit mir zu tun!«
    Maurice zitterte und ließ nur ein Wort fallen, das ihn mit aller Absicht beleidigen sollte.
    »Bauer!«
    »Jawohl, richtig! ich bin ein Bauer, und Sie sind ein Herr! Deshalb sind Sie aber auch ein Schweinehund, jawohl, ein dreckiger Schweinehund! Ich habe es Ihnen nur nicht schon früher sagen mögen!«
    Hohngelächter ertönte, aber der Korporal fuhr mit ungewöhnlicher Kraft fort: »Wenn man gebildet ist, soll man das zeigen... Wenn wir Bauern und Viecher sind, dann hättenSie uns ein gutes Beispiel geben sollen, weil Sie das alles so viel besser verstehen ... Nehmen Sie Ihr Gewehr wieder auf, oder, weiß Gott! ich lasse Sie erschießen, sobald wir zurück sind.«
    Maurice war überwältigt und nahm sein Gewehr wieder auf. Tränen der Wut verschleierten seinen Blick. Taumelnd wie ein Betrunkener setzte er seinen Marsch fort unter den Kameraden, die nun darüber höhnten, daß er nachgegeben hatte. O dieser Jean! unauslöschlich haßte er ihn, denn er fühlte sich von seiner harten Lehre, die er doch als berechtigt anerkennen mußte, ins Herz getroffen. Und als Chouteau vor sich hin murmelte, für so eine Sorte von Korporal warte man bloß bis zu einem Gefechtstag, um ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen, da empfand er einen roten Schleier vor den Augen, und er sah sich ganz deutlich, wie er Jean hinter einer Mauer den Schädel einschlug.
    Aber eine Ablenkung entstand. Loubet bemerkte, wie Pache wählend des Streites sein Gewehr ebenfalls abgelegt hatte, indem er es sorgfältig am Fuß einer Böschung niederlegte. Warum nicht? Er versuchte weiter gar keine Erklärung, sondern lachte noch obendrein wohlgefällig und etwas verschämt wie ein vernünftiger Junge, dem man seine erste Dummheit vorwirft. Dann zog er sehr vergnügt und wieder ganz munter mit den Armen schlenkernd weiter. So zog sich die aufgelöste Herde auf den langen, sonnenüberfluteten Wegen zwischen den ewig gleichen Hopfengärten und dem reifen Getreide immer weiter hin; die Nachzügler waren nichts mehr als eine

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