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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Kilo auf dem Buckel, davon hatte er genug. Man ist doch kein Lasttier, um sich so abzuschleppen.
    Fast im selben Augenblick folgte Loubet seinem Beispiel und zwang Lapoulle, es auch so zu machen. Pache, der sich vor allen Steinkreuzen, die er am Wege traf, bekreuzigte, machte die Tragriemen los und setzte den ganzen Packen sorgfältig an den Fuß einer kleinen Mauer, als ob er ihn wieder abholen wollte. Maurice allein trug seinen noch, als Jean sich umdrehte und seine Leute mit leeren Schultern sah.
    »Nehmt eure Tornister wieder auf; ich fliege sonst dafür herein!«
    Aber die Leute gingen stumm mit bösen Gesichtern immer weiter, ohne noch aufsässig zu werden, und trieben den Korporal auf dem engen Wege vor sich her.
    »Wollt ihr eure Tornister wieder aufnehmen, oder ich melde euch!«Das wirkte auf Maurice wie ein Peitschenhieb durchs Gesicht. Melden! Dieses Viech von einem Bauern wollte die Unglücklichen melden, weil sie ihre zermarterten Muskeln erleichterten! Und in fieberhaftem, blindem Zorn riß nun auch er die Tragriemen los und warf seinen Tornister auf den Wegesrand, indem er seine Augen voller Trotz auf Jean heftete.
    Maurices Füße litten schrecklich. Die großen, harten Schuhe, an die er nicht gewöhnt war, rieben ihm das Fleisch blutig. Er war nur von schwacher Gesundheit; sein Rückgrat empfand das unerträgliche Scheuern des Tornisters noch wie eine offene Wunde, obwohl er ihn doch schon abgeworfen hatte, und das Gewicht seines Gewehrs, von dem er nicht wußte, mit welchem Arm er es tragen sollte, nahm ihm allein schon den Atem. Aber in einem dieser Verzweiflungsanfälle, denen er unterworfen war, ängstigten ihn noch mehr Gewissensbisse. Ohne jede Widerstandsmöglichkeit sah er plötzlich den Zusammenbruch seines Willens vor sich, er verfiel auf schlechte Gedanken, auf ein Sichselbstaufgeben, und stöhnte nachher vor Scham darüber. In Paris waren seine Torheiten immer nur die Dummheiten »des andern« gewesen; gewesen, wie er sagte, des dummen Jungen, zu dem er in schwachen Stunden herabsank, in denen er der häßlichsten Gemeinheit fähig war. Und während er auf diesem fluchtgleichen Rückzug, in der verzehrenden Sonne die Füße hinter sich herschleppte, war er nur noch ein Tier in einer verspäteten, zerstreuten Herde, die die Wege übersäte. Das war die Rückwirkung der Niederlage, jenes Donnerschlages, der in meilenweiter Entfernung ertönte und dessen Echo jetzt die Fersen der Leute peitschte, daß sie, von Panik ergriffen, dahinflohen, ohne auch nur einen Feind gesehen zu haben. Woraufkonnten sie jetzt noch hoffen? War nicht alles zu Ende? Sie waren geschlagen; nun konnten sie sich hinlegen und schlafen.
    »Das macht nichts!« rief Loubet überlaut mit seinem Gelächter eines Sohnes der Hallen, »nach Berlin geht's hier ja allerdings nicht!«
    Nach Berlin! nach Berlin! Maurice hörte wieder den Ruf der wimmelnden Massen auf den Boulevards in jener Nacht närrischer Begeisterung, die ihn zu dem Entschluß geführt hatte, sich zu stellen. Nach einer Gewitterböe hatte der Wind sich gedreht; es war ein schreckliches Umspringen, und das ganze Temperament seiner Rasse spiegelte sich in diesem übertriebenen Selbstvertrauen, das beim ersten Rückschlag in Verzweiflung umschlug; die aber jagte ihn nun unter, diese verirrten Soldaten, die besiegt und zerstreut waren, noch ehe sie gefochten hatten.
    »Ach! wie der Schießprügel mir die Pfoten zerschneidet!« fing Loubet wieder an, indem er das Gewehr mal wieder auf die andere Schulter nahm, »'ne nette Pfeife so zum Spazierengehen!«
    Und indem er auf das Geld anspielte, das er als Ersatzmann bekommen hatte:
    »Fünfzehnhundert Francs für das Geschäft... die bemogeln einen hübsch!... Was der reiche Kerl da in seiner Ofenecke wohl für ein nettes Pfeifchen raucht, während ich mir hier den Schädel für ihn einschlagen lasse!«
    »Ich war mit meiner Zeit schon fertig,« brummte Chouteau, »ich wollte schon losziehen... verdammtes Pech, auf so 'ne Schweinegeschichte r'einzufallen!«
    Er wog sein Gewehr voller Wut auf der Hand. Dann schleuderte er es gleichfalls heftig über die Hecke.
    »So! weg mit dir, du dreckiges Dings!«Das Gewehr drehte sich zweimal um sich selbst und schlug dann in einem Wirbel zu Boden, wo es lang, unbeweglich wie ein Toter, liegen blieb. Bereits flogen andere hinter ihm her. Bald lag das ganze Feld voller Waffen, die starr in trauriger Verwahrlosung in dem niederdrückenden Sonnenschein dalagen. Eine ansteckende

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