Der Zusammenbruch
ihre vorauszusehende Vernichtung. Tote Pferde versperrten das Gelände, die einen wie vom Blitz erschlagen, andere wieder noch in einem letzten krampfhaften Todeskampfe um sich schlagend; und mit aller Kraft ihrer kurzen Beine sah man abgesessene Reiter nach Pferden herumlaufen. Tote übersäten schon die Ebene; viele reiterlose Pferde setzten ihre Hetzjagd fort und kamen von selbst wieder auf den Kampfplatz, um in wahnsinnigem Rennen wieder ins Feuer zu gehen, als lockte der Geruch des Pulvers sie an. Der Angriff wurde wieder aufgenommen; die zweite Schwadron stürzte sich in wachsender Wut vorwärts; die Leute lagen auf dem Sattelknopf vornübergebeugt und hielten den Säbel zum Einhauen bereit gegen die Knie gepreßt. Zweihundert Meter waren sie in betäubendem Sturmesgebrüll weitergekommen. Aber von neuem bauchte sich die Mitte unter dem Kugelregen ein, Menschen und Tiere fielen und hemmten das Rennen durch die unentwirrbaren Massen ihrer Leichen. Und so wurde nun auch die zweite Schwadron hingemäht und überließ den Platz ihren Nachfolgern.
Als nun der dritte Angriff mit heldenhafter Hartnäckigkeit begann, fand Prosper sich unter Husaren und französischen Jägern vermischt. Die Regimenter verschmolzen, und nur eine Riesenwelle blieb über, die sich fortgesetzt brach und wieder neu bildete, um alles, was sie auf ihrem Wege vorfand, mit sich zu reißen. Er hatte jede Empfindung verloren und überließ sich ganz seinem Pferde, dem guten, von ihm so geliebten Zephir, der aber jetzt scheinbar durch eine Verwundungam Ohr ganz verrückt wurde. Er befand sich nun in der Mitte; um ihn herum bäumten und überschlugen sich Pferde; manche Leute wurden wie durch einen Windstoß zu Boden geworfen, während andere glatt getötet steif im Sattel sitzen blieben und mit leeren Blicken jeden neuen Angriff wieder mitmachten. Diesmal sah die Erde hinter den zweihundert Metern, die sie vorwärts kamen, ganz bedeckt mit Toten und Sterbenden aus. Manche unter ihnen waren mit dem Kopfe tief in die Erde hineingedrückt. Andere waren auf den Rücken gefallen und starrten mit erschreckten, aus den Höhlen tretenden Augen in die Sonne. Ein großes schwarzes Pferd, das einem Offizier gehörte, versuchte trotz seines aufgerissenen Bauches sich vergeblich immer wieder zu erheben; seine Vorderfüße waren in die eigenen Eingeweide verwickelt. Unter dem sich verdoppelnden Feuer wirbelten die Flügel abermals herum und bogen sich zurück, um aufs neue niedergemäht zu werden.
Bei der vierten Wiederholung gelangte die vierte Schwadron endlich in die preußischen Linien. Prosper hob seinen Säbel und hieb auf Helme und dunkle Uniformen ein, die er wie durch einen Nebel vor sich sah. Blut troff herab, und er merkte, daß Zephirs Maul blutete; da bildete er sich ein, er hätte in die feindlichen Reihen hineingebissen. Der Lärm um ihn herum wuchs derartig an, daß er sein eigenes Geschrei nicht mehr hörte, trotzdem er sich die Kehle bei dem fortdauernden Gebrüll fast ausschrie. Aber hinter der ersten preußischen Linie kam eine zweite, dann wieder eine und noch eine. Und all der Heldenmut blieb ganz nutzlos; zu tief standen die Menschenmassen da wie hohes Kraut, in dem Roß und Reiter verschwanden. Da konnten sie, soviel sie wollten, niederhauen, es wurden immer mehr. Jetztbekamen sie Feuer unmittelbar aus den Gewehrmündungen, und so stark, daß ihre Uniformen anfingen zu brennen. Alles ging, von den Bajonetten verschlungen, inmitten aufgeschlitzter Leiber und zerspaltener Schädel, über Kopf. Zwei Drittel ihres Sollbestandes ließen die Regimenter hier liegen, und von dem ganzen berühmten Angriff blieb nichts übrig als der verrückte Ruhm, ihn unternommen zu haben. Zephir bekam plötzlich eine Kugel mitten in die Brust und brach zusammen; dabei begrub er Prospers rechten Schenkel unter sich, und der Reiter empfand einen so rasenden Schmerz, daß er das Bewußtsein verlor.
Maurice und Jean, die dem heldenhaften Galopp gefolgt waren, stießen vor Zorn laute Rufe aus:
»Gottsdonnerwetter noch einmal, was soll ihre Tapferkeit hier denn noch helfen!«
Hinter dem Gestrüpp des kleinen Hügels, wo sie in Schützenlinien knieten, entluden sie immer weiter ihre Chassepots; auch Rochas hatte ein Gewehr aufgenommen und feuerte mit ihnen. Aber die Hochebene von Illy war jetzt verloren, die Preußen strömten von allen Seiten herauf. Es mochte ungefähr zwei Uhr sein; die Vereinigung vollzog sich jetzt, das fünfte und das Gardekorps trafen sich
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