Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
seine Absicht zu töten nicht verwirklicht.
Dennoch, so berichtet Dr. Ullrich, hätten beide psychiatrischen Sachverständigen Pleil verminderte Zurechnungsfähigkeit nach § 51 II StGB zuerkannt. Doch das Schwurgericht habe weder eine zur Zeit der Tat vorliegende Bewußtseinsstörung noch eine erheblich krankhafte Störung der Geistestätigkeit feststellen können.
Vor Gericht hatte sich Pleil mehrmals als »bester Totmacher Deutschlands« bezeichnet und sich dieses Wort auch auf seine Jacke aufgenäht. Er soll sogar gebeten haben, als Scharfrichter tätig werden zu dürfen. Wie Kürten und andere Serienmörder sprach auch Pleil voller Stolz über seine Verbrechen, bedeuteten sie für ihn doch die Verwirklichung seiner – wenn auch pervertierten – Persönlichkeit.
Die Frage, ob Pleil unter anderen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, wie sie kurz nach dem Krieg herrschten, ebenfalls zum Serienmörder geworden wäre, ist nicht zu beantworten. Auch bei ihm bleibt offen, was in seiner Person anlagebedingt, was erworben, erlernt worden ist. Ein psychisch gesunder Mensch hätte beim Verbinden eines
Verletzten keinen Orgasmus bekommen. Das Erworbene, Erlernte kann sich immer nur auf einem dafür vorbereiteten psychischen Untergrund entfalten.
Der Fall Pleil erscheint wie ein klassisches Beispiel dafür, wie sich subjektive Gründe und Motivationen mit objektiven Verhältnissen verbinden und dann einander bedingen. Ohne Zweifel haben das Chaos der Kriegs- und Nachkriegszeit, die Errichtung von Grenzen mitten in einem Land und die Flüchtlingsbewegung Pleils Mordtaten begünstigt. Er nutzte die Spaltung Deutschlands aus, die die Strafverfolgung von Verbrechen erschwerte. Das Bild der Leiche, deren Rumpf in der Ostzone, deren Kopf in der Westzone lag, zeigt diese Situation anschaulicher als jede historische Erörterung. Aber diese Verhältnisse sind natürlich nicht allein verantwortlich. Die sadistische Triebrichtung seiner Sexualität hätte Pleil zu anderen Zeiten wahrscheinlich ebenfalls zu Zwangsvorstellungen und ihrer blutigen Verwirklichung geführt.
Er war ein Grenzgänger. Er überschritt Grenzen, in der Kindheit als Schmuggler, im Mannesalter als Mörder.
Das Raubtier
Das ist die Geschichte des Jürgen Bartsch, der als Kleinkind »Goldjunge« genannt wurde und zwanzig Jahre später sich selbst als Raubtier bezeichnete. Ein liebenswertes, sanftes, braves Kind, das zu einem grausamen Serienmörder wird – das Rätsel dieses Verfalls kann wohl beschrieben, aber kaum begreiflich gemacht werden.
Der 8. Mai 1966 ist Muttertag. An diesem Sonntag will die Fleischersfrau Bartsch aus Langenberg, einem Ort zwischen Essen und Wuppertal, ihre Mutter besuchen. Zusammen mit ihrem zwanzigjährigen Adoptivsohn Jürgen fährt sie mit dem Wagen nach Essen, wo ihre Mutter wohnt. Jürgen ist ein kräftiger junger Mann mit dunklem Haar, dichten Augenbrauen und melancholischem Blick.
Er begleitet seine Adoptivmutter gern zu ihrer Mutter, denn er hat als Kind jahrelang bei der Großmutter gelebt.
Nach dem Nachmittagskaffee erklärt Jürgen, er wolle ins Kino gehen. Gegen 20 Uhr werde er wieder da sein, um mit der Mutter nach Langenberg heimzufahren.
Aber Jürgen hat nicht die Absicht, sich ins Kino zu setzen. Als er an den Anschlagsäulen gelesen hatte, daß heute in Essen-Schonnebeck eine Kirmes stattfindet, stand für ihn sofort fest, dort sein Vergnügen zu suchen.
Vor neun Monaten, im August vergangenen Jahres, hatte er zum letzten Mal eine Kirmes besucht. Doch als dann alle Zeitungen sein Foto veröffentlichten – es zeigte, wie er mit einem Jungen im Auto-Scooter fuhr –, hatte er es nicht mehr gewagt, sich auf einem Rummelplatz zu zeigen. Aber heute wird ihn nichts und niemand davon abhalten, sich ins Menschengewimmel zu mischen und einen Jungen aufzureißen.
Aufzureißen. Er lächelt vor sich hin. Aufreißen, das trifft es genau, wörtlich sozusagen. Jürgen, der Aufreißer.
Er winkt einem Taxi zu, steigt aber schon ein ganzes Stück vor dem Kirmesplatz aus. Vorsicht ist geboten, der Taxifahrer könnte sich später an ihn erinnern.
Stunden vergehen, angenehme Stunden des Witterns, des Anschleichens, des Absicherns. Genuß schon an sich. Dann, im Gedränge am Auto-Scooter, erblickt er vier Jungen, die allein zu sein scheinen. Er schätzt sie auf sechs bis sieben Jahre. Aber das wird nichts, die sind mir zu jung. Babys fast noch. Er sieht sie nackt vor sich. Schöne zarte Haut zwar, doch für meine
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