Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
Zwecke noch nicht zu gebrauchen. Weitergehen, weitersuchen, ermuntert er sich, heute muß es klappen, ich werde sonst wahnsinnig. Es-muß-heute-klappen!
Da tritt noch ein Junge zu den vier Freunden. Zwölf könnte er sein. Bartsch spürt freudige Wallung. Der und kein anderer. Jetzt nicht zögern.
Er geht zur Kasse, kauft eine Handvoll Chips. Schlendert hin zu den fünf Jungen und stellt sich neben den ältesten. Fragt freundlich, ob sie gern Auto-Scooter fahren. Blöde Frage, natürlich würden sie gern fahren, sie haben aber kein Geld mehr. Bartsch verteilt die Chips an die vier kleinen Jungen. Den Zwölfjährigen lädt er ein, zusammen mit ihm zu fahren.
Der Junge heißt Manfred Graßmann und ist elf Jahre. Er wirkt gutmütig und gutgläubig. Bartsch spürt, mit dem wird er leichtes Spiel haben. Nach mehreren Runden verlassen sie die Fahrbahn. Mit geheimnisvoller Stimme vertraut Bartsch dem Jungen an, er sei Detektiv und brauche seine Hilfe. Dafür wolle er ihm fünfzig Mark geben. Er läßt Manfred den Geldschein sehen, und Manfred sagt begeistert zu. Bartsch fordert ihn auf, den anderen Jungen – zwei von ihnen sind seine jüngeren Brüder – nichts zu verraten. Als die vier dann heimkehren wollen und Manfred auffordern, mit ihnen zu kommen, sagt er, er wolle noch etwas bei dem »Onkel« bleiben.
Nun allein mit Manfred, erklärt Bartsch, jetzt beginne das Abenteuer. Zuerst begeben sich beide in eine Gaststätte. Während Manfred eine Limonade trinkt, bestellt Bartsch telefonisch ein Taxi.
Sie lassen sich in einen Essener Vorort bringen. Dort steigen sie aus und nehmen ein anderes Taxi. »Damit unsere Verfolger unsere Spur verlieren!« flüstert Bartsch dem Jungen zu. Als Ziel gibt Bartsch Langenberg-Bonsfeld an.
Auf der Fahrt zeigt sich Bartsch schweigsam. Manfred respektiert das, schließlich sind sie in geheimer Mission unterwegs. Während sie durch die abendlichen Straßen fahren, gibt sich Bartsch angenehmen Vorstellungen hin – Erinnerungen an seine letzte Tat vor einem Dreivierteljahr. Auch damals hatte er sein Opfer auf einer Kirmes gefunden: den zwölfjährigen Ulrich Kahlweiß. Der Name hat sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Vom Bildschirm, von Plakaten, aus den Zeitungen hatte ihn der Name des vermißten Jungen immer wieder angesprungen. Und mit ihm sein eigenes Bild. Irgend jemand hatte ihn zufällig gefilmt, als er mit Ulrich Auto-Scooter fuhr. Längst war sich die Polizei klar, daß Ulrich Kahlweiß ermordet worden war.
Wer aber war der junge Mann, der neben ihm im Auto gesessen hatte? Der Mörder? Es waren aufregende Wochen für Bartsch. Der ganze Filmausschnitt wurde mehrmals im Fernsehen und in den Lichtspieltheatern gezeigt. Selbst im eigenen Briefkasten fand Bartsch eine Postwurfsendung mit seinem Konterfei und seiner Personenbeschreibung. Von allen Anschlagsäulen blickte ihn sein Fahndungsfoto an. Verschwommen glücklicherweise, unscharf, das war seine Rettung. Niemand erkannte ihn wieder, nicht seine Eltern, nicht sein Freund. Wochen, Monate vergingen, die Bilder verschwanden und mit ihnen das öffentliche Interesse. Neue Verbrechen verdrängten die Erinnerung an Ulrich Kahlweiß, der noch immer unentdeckt in seinem Grab liegt. Und noch heute abend wird er einen Nachbarn erhalten. Meinen Gesamtplan, denkt Bartsch zufrieden, realisiere ich von Mal zu Mal besser. Seit fünf Jahren sucht er diesen Plan durch immer neue erregende Einzelheiten zu vervollkommnen. So wie ein Maler das Gemälde zuerst in Umrissen entwirft und vom Prozeß der Schöpfung zu immer reicheren Details angeregt wird, so hat Bartschs Phantasie im Laufe der Jahre das ursprünglich grobe Handlungsmuster verfeinert und die Handlung selbst wiederum seine Phantasie beflügelt. Und er drang in eine neue, nie gekannte Welt vor: in die Welt höchster Lust. Der Eingang in diese Welt bleibt anderen Menschen verborgen, nur er kennt das Tor. Es heißt: Macht. Macht durch Gewalt gegen Machtlose. Er hat es erprobt, und das Tor hat sich geöffnet. Er ist mächtiger gewesen als seine Opfer, weil er sie sorgfältig ausgewählt hat. Sie müssen ihm körperlich unterlegen sein. Sie müssen jünger sein als er, aber auch nicht zu jung. Sie sollen noch eine zarte Haut haben, aber ihre Genitalien sollen schon entwickelt sein und ihn in Erregung versetzen.
Sein erstes Opfer entsprach diesem Ideal noch nicht, der Junge war erst acht Jahre alt. Die beiden nächsten Opfer waren dreizehn, das ist das Alter, das er am meisten schätzt.
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