Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
des Mordes, er zögert auch nicht, sie auszuführen. Und hier beginnt für den »normalen« Menschen das Unbegreifliche: wie und wann die Phantasie den Kopf verläßt und in die Hände überspringt, also der Gedanke zur Tat wird. Denn, so sagte der psychiatrische Gutachter Dr. Bresser, »was sich in diesen Äußerungen darstellt, ist ein ungeheuerliches Phänomen, welches sich nicht mit sonst üblichen Begriffen etikettieren, sondern nur annäherungsweise begrifflich umschreiben läßt. Jürgen Bartsch sagte sicher mit Recht von sich selbst: ›Ich bin von Natur aus überhaupt sehr weich veranlagt‹ Dennoch – und das ist eben das Eigenartige perverser Triebentfaltungen – hat sich der mit durchaus sadistischen Zügen geprägte Tötungstrieb durchgesetzt.«
Aber wie denn nur konnte sich der Tötungstrieb gegen die »weiche Natur« durchsetzen? Wann überschritt er die Grenzlinie zwischen Gedanken und Tat? Das scheint mir das eigentliche Rätsel bei den Serienmördern zu sein. Und immer wieder die Frage: Sind sie frei in der Entscheidung, diese Grenze zu überschreiten, oder unterliegen sie dabei einem Zwang, der die freie Selbstbestimmung ausschließt? Als der bekannte Verhaltensforscher und Psychologe Prof. J. Eysenck gefragt wurde, ob der Mensch einen freien Willen besitze und demnach für sein Handeln verantwortlich sei, antwortete er, mit dem Begriff der Willensfreiheit könne er nichts anfangen: »Entweder ist etwas ererbt oder erlernt.«
Ererbt, das heißt, eine Veranlagung ist in der Persönlichkeit genetisch programmiert, also biologisch verankert. So läßt sich heute beispielsweise durch Hirnstrommessung feststellen, wie intensiv die Gefühle eines Menschen sind, demgemäß also auch nachweisen, daß es eine biologisch bedingte Gefühlsarmut gibt. Das Wort vom »eiskalten Killer« gibt dieser Tatsache bildhaften Ausdruck. Eine krankhaft erhöhte Aggressivität wird mit hormonellen Veränderungen in Zusammenhang gebracht.
Auch Prof. O. Prokop, ein international anerkannter Chromosomenforscher und Rechtsmediziner, sieht die menschliche Aggressivität genetisch veranlagt. Eine Disposition zur Aggressivität – so zitiert M. P. Schaeffer Prof. Prokop – sei im Mosaik der menschlichen Chromosomen präformiert und nachweisbar.
Wäre damit ein Mensch unentrinnbar zum Verbrecher geboren? Eine genetisch bedingte Veranlagung, betont Prof. Eysenck, liefere den Menschen keineswegs einem unabwendbaren Schicksal aus. Denn der Mensch sei zugleich fähig zu lernen, d. h., aus Erfolg und Mißerfolg seiner Handlungen Schlußfolgerungen zu ziehen und sich zu einem sozial in tegrierten Wesen zu entwickeln. »Jeder Mensch«, so Eysenck, »ist als Baby zunächst völlig antisozial: Er würde alles tun, um seinen Willen ganz und sofort durchzusetzen. Erst durch Bestrafung und Belobigung lernt er, sich in eine Familie und dann in die Gesellschaft einzufügen.«
Dieser Sozialisierung können jedoch genetisch bestimmte Anlagen entgegenwirken, so wie umgekehrt genetisch bedingte Triebanomalien durch Hemmkräfte unterdrückt werden können, die die Menschheit im Lauf ihrer Entwicklung erworben und genetisch verankert hat.
Im Fall Bartsch läßt sich nachträglich – auch wenn man den damaligen Stand der Forschung berücksichtigt – über sein genetisches Erbe nichts sagen. Er selbst war davon überzeugt, daß sein Mordtrieb einer unglücklichen Veranlagung entsprang. Wohl aber wird die von Eysenck genannte andere Komponente einer Willensentscheidung, das Erlernen, bei Bartsch deutlich sichtbar. Er hatte gelernt, nicht nur seine Zwangsvorstellungen auszubauen, sondern sie auch ohne Gefahr für sich selbst in der Höhle zu verwirklichen. Auch auf Bartsch läßt sich die schon zitierte Erkenntnis des FBI-Psychologen Ressler anwenden: »Serienmörder fangen vorsichtig an und werden von Mal zu Mal kühner und schließlich zu wahren Mordmaschinen.« Sie lernen also sehr rasch, die Hemmschwelle für ihre Taten immer erfolgreicher zu überspringen. »Nach dem ersten Mal«, gestand Bartsch, »sind es schon weniger Gewissensbisse, und der Preis sinkt.«
Wenn Prof. Eysenck menschliches Handeln durch »Ererbtes und Erlerntes« bestimmt sieht, läßt sich auch bei Bartsch diese Einheit von Veranlagung und sozialer Prägung finden. In seinem Gutachten nannte Dr. Bresser Bartsch einen Menschen mit einer abnormen Triebstruktur. Diese Triebstruktur sei homosexuell gerichtet: »Kaum eine Eigenschaft des Menschen kann wohl mit so großer
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