Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
Rücken gleicht der bärtige Alte einem verfrühten Weihnachtsmann. Ergeht durch die einsame Straße bis in den Stadtwald. Zwischen Bäumen und Sträuchern verstreut er Knochen- und Fleischreste, manchmal verscharrt er auch Teile im Boden.
Heimgekehrt, säubert er sich und die Werkzeuge und geht ermüdet zu Bett. Immerhin bin ich vierundsechzig, denkt er, und morgen werde ich Muskelkater haben vom vielen Hacken und Sägen.
Am nächsten Morgen steht er wohlgemut auf. Es ist ein schöner Frühlingstag, die Kirschbäume stehen in voller Blüte. Auch heute ist noch einiges zu tun. Das gekochte Fleisch muß eingeweckt, die Fleischbrühe zu Sahnesoße verarbeitet werden. Währenddem erwacht seine Freßgier.
Er schneidet sich Fleischbrocken ab, bestreut sie mit Salz und vernascht sie.
Dann wendet er sich Hubaleks Kleidungsstücken zu.
Sie sind in einem zu schlechten Zustand, um sie noch auf dem Trödelmarkt verkaufen zu können. Er zerschneidet sie, bündelt sie und umschnürt sie mit einem Band.
Nun hat er noch eine besonders angenehme Tätigkeit vor sich. Aus dem Regal holt er zwei Blechbüchsen. Auf einer steht SALZ, auf der anderen PFEFFER. Als er sie auf den Tisch stellt, klirrt es leise. Ein Geräusch, das weder Salz noch Pfeffer verursachen. Denke öffnet den Deckel. Die Büchsen enthalten Menschenzähne. Er wirft Hubaleks Zähne hinein.
Und kann der Versuchung nicht widerstehen, die Zähne wieder einmal zu zählen. Er schüttet sie auf den Tisch, legt sie wie Münzen in Zehnerreihen. Jetzt besitzt er 420 Zähne.
Denke überprüft sein Notizbuch. Alles ist ordnungsgemäß registriert:
Nr. 30. Am 20. April 1924. Kaspar Hubalek. Arbeiter. Geb. 10. Januar 1870 in Böhmen.
Der dreißigste! Eine runde Zahl. Das müßte eigentlich gefeiert werden. Aber Denke hat niemanden, mit dem er feiern könnte. Er ist ein Sonderling, ein Einzelgänger, ohne Freunde, ohne Frau, mit seinen Verwandten verfeindet. Doch die Nachbarn mögen ihn gut leiden. Er ist immer höflich, ein so bescheidener fleißiger Mensch, der sich mühsam vom Korbflechten ernährt. Und der trotzdem gegenüber Bettlern und Tippelbrüdern mildtätig ist. Unser Papa Denke!
Ein halbes Jahr später ist es wieder soweit, daß Papa Denke seine Mildtätigkeit beweisen kann. In seinem Notizbuch steht: Nr. 31. Aber die Spalte dahinter ist noch leer. Zeit für eine Eintragung. Die Fleischvorräte nehmen ab.
Am Sonntag, dem 21. Dezember 1924, klopft ein Mann an Denkes Tür und bittet um ein paar Pfennige Zehrgeld.
Und wieder, so erwartet Denke, wird nun alles verlaufen wie dutzendmal erprobt. Angebot zum Frühstück, zum Briefschreiben für zwei Groschen Belohnung, Spitz hacke, Fleischzubereitung.
Und anfangs läuft alles auch gut. Während der Gast ißt, erfragt Denke seinen Namen. Vincenz Olivier ist ein arbeitsloser Steinarbeiter und einundvierzig Jahre alt. Er durchwandert Schlesien und lebt vom Betteln.
Denke betrachtet wohlgefällig Oliviers noch immer kräftige Statur. Nur daß er den Hut aufbehält, beunruhigt ihn.
»Legen Sie doch den Hut ab, der stört Sie beim Schreiben.«
Olivier nimmt den Hut ab und legt ihn auf die Kommode. Dann erhält er einen Bogen Papier und einen Bleistift, um den Brief zu schreiben. Denke steht jetzt rechts hinter Olivier. »Zuerst diktiere ich Ihnen die Anrede«, verkündet er. »Adolf, du dicker Wanst!«
Olivier beginnt zu schreiben: »Adolf, du –« und muß plötzlich lachen. Lachend wendet er sich zu Denke um.
Sieht etwas durch die Luft sausen und spürt einen brutalen Schlag an die rechte Kopfseite. Benommen vor Schreck und Schmerz taumelt er empor.
Denke schwingt erneut die Spitzhacke. Olivier sucht sie ihm zu entreißen. Denke hält sie eisern fest. Der Kampf wogt hin und her. Der Tisch stürzt um, Gläser klirren zu Boden.
Olivier hat noch genug Kraft, mit einem plötzlichen Ruck die Spitzhacke abzudrehen und sie Denke zu entwinden. Aber Denke gibt nicht auf. Er wirft sich erneut auf Olivier, um die Hacke wieder in seine Hände zu bekommen.
Olivier hält die Hacke hoch über seinem Kopf. Der kleinere Denke kann sie nicht erreichen.
Olivier will fliehen, läuft zur Tür. Denke eilt ihm nach, packt Oliviers Arm, um ihn von der Tür wegzuziehen.
Olivier schüttelt Denke ab. Er reißt die Tür auf. Denke umklammert ihn erneut.
Olivier schreit durch den Flur: »Hilfe! Er will mich umbringen!«
Zwei junge Männer stürmen aus einer Wohnung heraus. Sie befreien Olivier aus Denkes Umklammerung. Keuchend ruft
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