Der zweite Buddha
einen Malerkittel, roch ein wenig nach Terpentin und begrüßte mich mit einem strahlenden Lächeln. Dann erblickte sie das Blasrohr. Das Lächeln verschwand plötzlich aus ihrem Gesicht.
»Das Blasrohr!« stotterte sie.
»Ganz recht«, sagte ich, »das Blasrohr. Und ich habe auch...«
»Wollen Sie nicht eintreten?« unterbrach sie mich hastig. Sie entließ den Boy mit einem Kopfnicken und hielt mir die Tür auf.
Das Apartment war offensichtlich umgebaut worden, um seiner jetzigen Bestimmung als Maleratelier zu dienen. Eine hohe, schräg eingesetzte Milchglasscheibe ließ viel Helligkeit in den Raum, die aber durch große Vorhänge nach Bedarf reguliert werden konnte, in der Nähe des Fensters stand eine Staffelei, darauf ein leinwandbespannter Keilrahmen; Dutzende ungerahmter Bilder hingen an den Wänden oder standen in den Ecken.
»Malen ist mein Hobby«, erklärte Mrs. Crockett. »Hier im Atelier verbringe ich einen guten Teil meiner Zeit... ich habe viel Zeit, wissen Sie; mein Mann ist oft auf Reisen.«
Wir waren unterdes von dem kleinen Vorplatz durch die offenstehende Tür in das eigentliche Atelier getreten. In der Fensterecke, die ich bisher nicht hatte überblicken können, stand ein nacktes Modell.
»Ach du liebe Güte«, rief Phyllis Crockett, »das hab’ ich ja ganz vergessen! Macht’s dir was aus?«
»Danach erkundigst du dich aber reichlich spät«, meinte das Mädchen.
Phyllis Crockett lachte: »Ich nehme fast an, daß Mr. Lam schon mal ein nacktes Mädchen gesehen hat...« Sie sah sich suchend um. »Wo ist denn dein Bademantel, Sylvia?«
»Ich habe ihn in den Wandschrank gehängt.«
»Warte — ich hol’ ihn dir.«
Dann saß das Modell in einem Sessel, und Mrs. Crockett stellte sehr formell vor: »Sylvia, dies ist Donald Lam. Er hat... nun ja, er hat geschäftlich mit Dean zu tun. — Und dies ist Miss Hadley.«
Jetzt konnte ich sie in Ruhe betrachten. Es war das Mädchen, dessen Bilder ich am Morgen bei Palmer gesehen hatte. Plötzlich hatte ich eine Idee... Da begann Mrs. Crockett: »Also Sie haben das Blasrohr und...«
»Das Blasrohr«, unterbrach ich sie. »Ich habe das Blasrohr — hier ist es.«
»Oh — ich dachte, Sie hätten gesagt...«
»Ich sagte, daß ich das Blasrohr habe«, unterbrach ich sie abermals. »Was den anderen Teil des Auftrages angeht, so sind gewisse Fortschritte zu verzeichnen, aber...« Ich beendete den Satz nicht, sondern wandte mich zu Miss Hadley: »Machen Sie das eigentlich hauptberuflich, das Modellstehen?« erkundigte ich mich.
Sie lächelte und wiegte den Kopf. »Ja und nein, wie man’s nimmt...«
»Eigentlich ist Sylvia eine Freundin von mir«, schaltete sich Mrs. Crockett ein. »Sie überlegt sich erst seit kurzem, ob sie aus dieser Modellsteherei einen Beruf machen will... Da waren ein paar unvorhergesehene Ereignisse, wissen Sie, und da...«
»Ach, laß doch die Geheimniskrämerei«, warf Sylvia Hadley dazwischen. Sie lachte und wandte sich zu mir: »Ich war mit einem Mann verheiratet, der bei näherem Hinsehen nicht ganz so war, wie ich ihn mir vorgestellt hatte«, erklärte sie. »Erst hat er mein Geld durchgebracht, dann hat er mit anderen Frauen angebändelt, und schließlich hat er mich sitzenlassen... Es ist furchtbar nett von Phyllis, daß sie meine Tätigkeit als eine Art Nachbarschaftshilfe ausgibt, aber tatsächlich bezahlt sie dafür. Sie hat auch Modelle beschäftigt, und von etwas muß ich schließlich leben — es ist ja auch keine Schande.«
Ich betrachtete die Bilder, die an der Wand hingen. »Ober Mangel an Beschäftigung können Sie sich offensichtlich nicht beklagen, Miss Hadley«, stellte ich fest.
Mrs. Crockett lachte. »Nein, wirklich nicht... ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, Mr. Lam; sie hat eine geradezu göttliche Figur.«
»Doch, ja«, sagte ich trocken, »ich glaube mich zu erinnern. — Sagen Sie, Mrs. Crockett — Ihr Gatte ist nicht zu sprechen?«
»Nein«, erwiderte sie, »er ist in seiner >Höhle< — eine schreckliche Angewohnheit von ihm. Das ist ein kleines Apartment, in das er sich zurückzieht, wenn er arbeiten will. Dann schließt er sich ein und ist für niemand zu sprechen, nicht einmal für mich. Da schreibt er seine Reiseberichte; stunden- und tagelang diktiert er...«
»Einer Sekretärin?« warf ich ein.
»Nein; er hat ein Diktiergerät. Manchmal bleibt er zwei oder drei Tage lang in seiner >Höhle< verschollen — er hat eine kleine Küche einbauen lassen, und er hält sich
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