Der zweite Buddha
immer einen Vorrat von Büchsen-Verpflegung, die er sich ohne Mühe selber zubereiten kann.«
»Wenn ich also recht verstehe, hat er augenblicklich kein Interesse an dem Blasrohr.«
»Aber ja, außerordentliches Interesse sogar. Grundsätzlich, meine ich; wir müssen nur warten, bis er aus seinem »Winterschlaf< erwacht ist und sich wieder unter Menschen begibt.«
»Haben Sie eine Ahnung, wann das sein könnte?«
Sie zuckte die wohlgeformten Schultern.
Ich lehnte das Blasrohr in die Ecke. »Kann ich es hier stehen lassen?«
»Ja, sicher. Wie in aller Welt haben Sie es überhaupt so rasch gefunden?«
»Das ist eine ziemlich lange Geschichte ...«, wich ich aus.
Sylvia Hadley sah fragend von einem zum andern. »Ist das Blasrohr gestohlen worden?«
Phyllis Crockett nickte.
»Vermißt ihr außerdem noch etwas?« In ihrer Stimme lag eine Spannung, die nicht recht zu dem höflich-desinteressierten Gesichtsausdruck passen wollte.
»Eine Statuette«, berichtete Mrs. Crockett, »das Pendant zu der, die vor drei Wochen weggekommen ist — erinnerst du dich noch daran?«
»Du meinst doch nicht etwa dieses wundervolle Stück... ein meditierender Buddha aus glattem, dunkelgrünem Jade?«
»Doch, der ist es«, bestätigte Phyllis. »Dean hat sich schrecklich aufgeregt deswegen.«
»Da hat er aber auch allen Grund dazu... Das ist ja eine der schönsten Schnitzereien, die ich je gesehen habe! Ich wollte Dean schon immer mal bitten, ob ich mir einen Gipsabguß davon machen lassen darf... Und diese Figur ist jetzt weg?«
»Ja«, wiederholte Phyllis. »Sie ist weg.«
»So eine Gemeinheit!« empörte sich Sylvia Hadley.
Ich blickte zu Mrs. Crockett hinüber. »Sie meinen also nicht, daß man Ihren Mann wegen des wiederaufgetauchten Blasrohrs stören sollte?«
»Was heißt hier »stören sollte< — man kann ihn nicht stören!«
»Wieso — man kann doch zum Beispiel mal an die Tür klopfen, nicht wahr?«
»Klopfen kann man natürlich. Aber er hört es nicht; er sitzt nämlich hinter zwei verschlossenen Türen — es ist nicht einmal eine richtige Doppeltür; dazwischen liegt eine kleine Kammer.«
»Aber vielleicht kann man ihn anrufen; ein Telefon wird er doch haben.«
»Das geht auch nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »In diesem Raum ist auch kein Telefon. Ich sage Ihnen doch, es ist absolut unmöglich, ihn zu erreichen, außer wenn... na ja, das ginge vielleicht. Aber eigentlich nur in ganz dringenden Fällen ...«
»Außer wenn...?« bohrte ich.
»Wenn er grade nicht arbeitet, kann ich vom Fenster aus seine Aufmerksamkeit erregen.«
Ich schwieg und sah sie an. Sie kaute nachdenklich an der Unterlippe; endlich sagte sie: »Na schön; wir können es ja mal versuchen... kommen Sie mit.«
Sylvia Hadley blieb im Atelier zurück. Ich folgte Mrs. Crockett über den Vorplatz in das Badezimmer. »Quetschen Sie sich mit ans Fenster«, schlug sie vor, »dann werden wir ja sehen.« Sie lachte ein bißchen. Dann öffnete sie das schmale Fenster und lehnte sich hinaus. Ich schob mich neben sie. Es war wirklich sehr eng; ihr Haar kitzelte mich im Gesicht.
»Da oben ist es.« Sie wies mit dem Finger hin. Jenseits eines Lichtschachtes sah ich ein erleuchtetes Fenster; es mochte etwa 4—5 Meter höher liegen als unser Beobachtungsplatz. »Er hat wenigstens die Vorhänge nicht zugezogen«, stellte sie fest. »Wenn er jetzt nicht gerade diktiert; wenn er diktiert, sitzt er im Sessel; dann geht’s nicht. Aber zwischendurch denkt er nach; dabei geht er immer auf und ab, und dann kann ich ihm mit der Taschenlampe ein Zeichen geben... Augenblick mal.«
Sie verließ das Badezimmer und kam gleich darauf mit einer großen Stablampe zurück. »Sobald er auf und ab geht, werde ich ihm ein Zeichen geben«, kündigte sie an. »Aber ich stehe nicht für die Folgen ein; er wird furchtbar schimpfen. Er will nicht gestört werden, wenn er da oben arbeitet.«
»Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Ihr Mann so seine besonderen Eigenheiten hat«, meinte ich.
»Ja, so könnte man es nennen«, stimmte sie sarkastisch zu. Dann fuhr sie etwas unvermittelt fort: »Mensch, ist das eng hier... rechts eine massive Mauer und links ein ausgewachsener Detektiv... Moment mal ...« Sie wechselte ihre Stellung, legte den linken Arm um meinen Nacken und lehnte sich an mich: »So —das ist besser!«
»Jetzt bin ich auch überzeugt davon, daß Ihr Mann schimpfen wird, falls wir ihn wirklich ans Fenster locken können«, bemerkte ich. »Von
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