Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
Vom Netzwerk:
Gestalt. Er stellte die Schärfe nach und bemühte sich, das Fernglas ruhig zu halten. Das Bild hatte einen Grünstich und war grobkörnig. Dennoch gab es keinen Zweifel: Die Gestalt war Jennifer Watson.
    Im zweiten Stock gelang es Emmet, seine Verfolger abzuschütteln, weil hier der Strom vollständig ausgefallen war und das spärliche Licht, das von draußen in die Gänge fiel, lediglichSchatten erkennen ließ. Er wartete, bis er sich in Sicherheit wähnte, dann trat er den Rückzug an.
    Im ersten Stock versperrte ihm ein Feuer den Durchgang nach unten, sodass er gezwungen war, die Treppe im Nordturm zu nehmen. Doch auf halbem Weg dorthin stand er plötzlich einer ihm wohl bekannten Gestalt gegenüber, die wie aus dem Nichts aus einem der Zimmer auftauchte: Donna Greenwood.
    Als die Frau Emmet erkannte, schien sie mindestens ebenso überrascht zu sein wie er. Beide verharrten mitten in der Bewegung und starrten einander fassungslos an. Einen Moment schien die Erde still zu stehen. Es gab keine Explosionen mehr, keine Schüsse, keine brüllenden, umhereilenden Wachleute.
    Emmet konnte sein Glück kaum fassen. Die Frau, die er so viele Jahre heimlich geliebt und durch den Angriff in Schottland verloren geglaubt hatte, lebte. Er verspürte das unwiderstehliche Verlangen, sie in seine Arme zu schließen. Doch irgendetwas in ihrem Blick ließ ihn zögern.
    »Ich dachte, du wärst tot«, raunte er. »Begraben unter den Trümmern von Leighley Castle.«
    Donna schüttelte den Kopf. »Dasselbe dachte ich von dir. Was tust du hier?«
    »Das erkläre ich dir später. Lass uns erst einmal von hier verschwinden.«
    Er ergriff Donnas Hand, doch sie riss sich von ihm los und wich vor ihm zurück. Entsetzt erkannte Emmet, dass sie eine Pistole auf ihn richtete.
    »Tut mir Leid, wenn ich dich enttäuschen muss«, sagte sie. »Aber wir stehen schon lange nicht mehr auf derselben Seite.«
    Emmets Herz weigerte sich zu glauben, was sein Verstand ihm sagte – dass Donna eine Verräterin war. »Warum?«, fragte er. Mehr brachte er nicht über die Lippen.
    »Weil der Heilige Gral Wirklichkeit geworden ist!«, entgegnete sie. »Nicht der Kelch mit dem Blut Jesu bringt uns dasewige Leben, sondern die moderne Wissenschaft. Eine solche Gelegenheit darf man nicht ungenutzt lassen! Ich will noch nicht sterben, Emmet.«
    »Dann weißt du, was hier geschehen ist?«
    »Mehr noch, ich habe es mitverantwortet.«
    »Was ist mit dem Angriff in Schottland? Warst du auch daran beteiligt?«
    »Ich hatte keine andere Wahl.«
    Emmet spürte, wie in seinem Innern eine Veränderung vor sich ging. Er hatte das Gefühl, sein Herz würde versteinern. Beinahe sehnte er sich nach dem Tod, nur um die Enttäuschung nicht länger ertragen zu müssen. Donna hatte ihm alles genommen, was ihm auf dieser Welt wichtig gewesen war. Leighley Castle, seine Brüder und Schwestern, die Ideale der Ordensgemeinschaft. Sogar den Glauben an die Liebe.
    Lara Mosehni lag auf einem Hausdach, unweit der Nordmauer des Palasts. Vor ihr befand sich ein schwarzes Plastikgehäuse mit vielen Knöpfen. Lara spielte darauf wie auf einem Klavier, nur dass die Knöpfe immer denselben Laut von sich gaben – ohrenbetäubendes Krachen.
    Von Lara aus gesehen, ereigneten sich die meisten Explosionen auf der rechten Seite, dort, wo sich das Palastgebäude befand. Lichtblitze zuckten durch die nächtliche Dunkelheit, Feuerzungen stoben in den sternenklaren Himmel, Rauchschwaden zogen über die Stadt, getragen von einer kühlen Brise.
    Laras Blick schweifte den Palastgarten entlang. Da es dort zu dunkel war, um mit bloßem Auge etwas zu erkennen, klappte sie ihr Nachtsichtgerät herunter. Sofort sah sie die Flüchtlingsgruppe. An der Spitze Reyhan Abdallah, die ihren Sohn trug, dann die Sudanesen und zuletzt Anthony Nangala, mit einer Uzi bewaffnet. Im Schatten der Bäume huschten sie quer durch den Garten in Richtung Ostmauer, immer weiter weg von der Feuersbrunst.
    Um Assads Söldner beschäftigt zu halten und sie weiterhin von der Flüchtlingsgruppe abzulenken, wollte Lara nun auch noch die letzten vier Explosionen am Palast auslösen. Doch bevor sie die Knöpfe drücken konnte, hörte sie plötzlich ein metallisches Klicken dicht neben ihrem Ohr. Eine Stimme raunte: »Eine falsche Bewegung, und Sie sind tot, Miss Watson!«
    Langsam zog Lara die Hand vom Plastikgehäuse zurück.
    »Umdrehen!«, befahl die Stimme barsch.
    Lara gehorchte und betrachtete den Mann mit der Waffe. Er war blond,

Weitere Kostenlose Bücher