Der zweite Gral
medizinischen Hilfspersonal sowie einen Fünf-Sterne-Koch. Denn ins Briggs-Center kamen nur Patienten, die es sich leisten konnten. Und die hatten ihre Ansprüche.
Neben der Patientenbetreuung gab es im Briggs-Center noch einen zweiten Schwerpunkt: die Forschung. In einem Seitentrakt führte ein separates Team hochgradiger Wissenschaftler rund um die Uhr Experimente durch. Es befasste sich mit neuen Heilverfahren für innere Organe und vor allem mit der Suche nach chemischen Erfahrungsstoffen. Gedächtnismolekülen. Das Scotophobin, das Angst vor der Dunkelheit auslöste, war nur eines davon. Das Team um Doktor Briggs hatte mittlerweile mehr als vierhundert weitere und wesentlich sinnvollere Gedächtnismoleküle separiert. In seinem Vortrag an der UCLA hatte Briggs nichts davon erwähnt, weil diese Forschungen längst nicht abgeschlossen waren und er nicht vorzeitig seine Karten auf den Tisch legen wollte. Immerhin gab es konkurrierende Labors, die am selben Thema arbeiteten. Aber er hoffte, in den nächsten Jahren einen durchschlagenden Erfolg zu erzielen. Mit Mäusen war ihm bereits Beachtliches gelungen: Durch chirurgische Eingriffe hatte er ihnen winzige Teile des Gehirns entfernt. Die auf diese Weise ausgelösten Verhaltens- und Bewegungsstörungen konnten zumindest teilweise durch Extrakte gesunder Mäusehirne ausgeglichen werden. Briggs war überzeugt, dass seine Forschungen ihn in nicht allzu ferner Zukunft dazu befähigen würden, auch Menschen zu behandeln. Vielleicht konnte er schon bald Schlaganfall- oder Alzheimer-Patienten helfen, nicht zuletzt aber auch alten Menschen mit nachlassendem Gedächtnis. Die Anwendungsmöglichkeiten waren vielfältig.
Das Piepsen des Computers holte Briggs aus seinen Gedanken. Er ging zurück zu seinem Schreibtisch und sah auf dem Monitor, dass eine neue E-Mail eingegangen war – von seinem alten Freund Dr. Amadeus Goldmann. Briggs setzte sichin seinen schwarzen Ledersessel und öffnete die Nachricht. Er las:
Mein lieber Freund,
nach dem letzten Fehlschlag gehen unsere Forschungen nun erstaunlich gut voran. Die jüngsten Tests verliefen allesamt positiv. Natürlich gibt es hier und da noch Verbesserungspotenzial, aber wo in der Medizin ist das nicht der Fall? Alles in allem scheint mir unser Projekt mittlerweile reif für einen zweiten Versuch mit einem Freiwilligen. Die Vorbereitungen dafür laufen bereits. Mir wurde soeben mitgeteilt, dass das Spendermaterial hierher unterwegs ist. Einer Behandlung deines Patienten B. steht daher nichts mehr im Wege. Gib mir Bescheid, wann wir mit seinem Eintreffen rechnen können.
A.G.
Briggs lehnte sich im Sessel zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Er wagte kaum zu glauben, was er da las. Konnte es tatsächlich sein, dass Goldmann mit seinen Experimenten so rasch vorangekommen war? Er musste einen Moment lang sitzen bleiben und sich zur Ruhe zwingen, um die Tragweite dieser Nachricht zu begreifen. Die Welt würde sich durch dieses Projekt grundlegend verändern, keine Frage. Die meisten Menschen würden ihr Leben ganz normal weiterfuhren, doch ein paar wenige Auserwählte würden durch das Projekt in einen beinahe gottgleichen Status erhoben.
Die Vorstellung, Götter oder zumindest Halbgötter zu erschaffen und sich sogar selbst zu solchen zu erheben, erfüllte Briggs mit Stolz und gespannter Erwartung. Er fühlte sich wie ein Kind kurz vor der Weihnachtsbescherung. Nicht mehr lange, und einer der größten Menschheitsträume würde in Erfüllung gehen.
Er erhob sich von seinem Sessel, verließ sein Büro und ging mit entschlossenen Schritten über den Flur. Eine Assistenzärztin und ein Patient im Rollstuhl grüßten ihn. Er nickte ihnen zu, nahm sie jedoch kaum wahr. Vor Zimmer 32 blieb er stehen und klopfte.
»Hat man hier denn nie seine Ruhe?«, krächzte eine Stimme von drinnen. »Da hätte ich ja gleich in Washington bleiben können!«
Briggs lächelte und trat ein. »Wie ich höre, geht es Ihnen heute schon wieder besser«, sagte er.
»Was an ein Wunder grenzt, denn erholen kann man sich hier nicht. In diesem Krankenhaus geht es zu wie in einem Taubenschlag!«
Der Mann im Bett wirkte schwach und abgemagert, doch in dem greisenhaften Körper wohnte noch immer ein hellwacher Verstand. Wayne Bloomfield, 80 Jahre alt, löste das Rätsel in der New York Times schneller als jeder andere Patient des Briggs-Centers, vermutlich sogar schneller als jeder Einwohner von Santa Barbara. Er war das Paradebeispiel für
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