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Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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scheinbar mit sich und ihren Gedanken beschäftigt.
    Da Tanaka im Moment ohnehin nur abwarten konnte, beschloss er, sich ein paar Notizen für seinen schriftlichen Bericht zu machen. Er ließ sich von Ishak Stift und Papier reichen und überlegte. Trotz aller Routine fiel ihm der Anfang stets am schwersten.
    Nach einer halben Stunde hatte er erst ein paar Stichworte aufgeschrieben. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, werde ich für den Bericht die ganze Nacht brauchen, dachte er. Merde!
    Sein Blick wanderte wieder zum Monitor. Lara Mosehni hatte sich auf ihrem Bett auf die Seite gedreht. Jetzt starrte sie in Richtung Fenster.
    Tanaka glaubte ihr, dass sie den Mord nicht begangen hatte. Er besaß einen Riecher dafür, wann Menschen logen und wann sie die Wahrheit sagten. Über viele Jahre hinweg hatte er seinen Instinkt geschärft und gelernt, ihm zu vertrauen. Lara Mosehni war ehrlich entsetzt gewesen, als er ihr eine Stunde zuvor die Polaroids vom Tatort gezeigt hatte. Nagib al-Hakim war nicht durch ihre Hand gestorben. Und das wiederum hieß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass Emmet Walsh den Mord verübt hatte. Immerhin war er ein Radikaler und schon einmal wegen Waffenbesitzes verhaftet worden. Er war der Kopf von Layoq. Und ein zwölfjähriges Kind hatte eine Täterbeschreibung abgegeben, die haargenau auf Walshpasste. Und nicht zuletzt hatte er ein Motiv: Er wollte nicht von Interpol geschnappt werden.
    Tanaka seufzte. Er fragte sich, wie viele Rosenschwert-Medaillons Emmet Walsh in den letzten zwölf Monaten auf der Welt zurückgelassen hatte. Gegen wie viele Gesetze er verstoßen, wie viele Menschen er verletzt oder getötet hatte. Walsh war ein raffinierter Hund. Abgesehen von dieser Geschichte am Londoner Flughafen, bei der man durch eine Zufallskontrolle ein Gewehr in seinem Gepäck gefunden hatte, war er bei Interpol ein unbeschriebenes Blatt. Er musste eine außerordentliche Begabung dafür besitzen, Spuren zu verwischen und sich rechtzeitig aus dem Staub zu machen, sonst hätte Interpol ihn längst erwischt.
    Walshs Vorsicht und seine Gefährlichkeit – in Verbindung mit der Tatsache, dass viel zu wenig geeignete Polizisten zur Verfügung standen – hatten Tanaka dazu bewogen, mit Lara Mosehni eine Vereinbarung zu treffen. Er hatte sie überredet, ihm Walsh in die Arme zu spielen und damit weiteres Blutvergießen zu verhindern. Als Gegenleistung hatte er ihr versprechen müssen, sich so lange zu gedulden, bis sie und Walsh die entführten Sudanesen gefunden und gegebenenfalls befreit hatten.
    Natürlich widerstrebte es Tanaka, einen mutmaßlichen Mörder länger als unbedingt nötig frei herumlaufen zu lassen. Doch die Erwähnung von Scheich Assad hatte ihn umgestimmt. Assad stand auf der Prioritätenliste von Interpol ein gutes Stück weiter oben als Walsh und die Rosenschwert-Bande. Assad selbst hatte man in der Vergangenheit zwar nie etwas nachweisen können, doch seine privaten Söldner geizten nicht mit Brutalitäten in der Öffentlichkeit. Assads Status wegen hielten diese Kerle sich für unantastbar – was der Realität leider ziemlich nahe kam. Zudem gab es Indizien dafür, dass hinter den Mauern von Assads Palast seltsame Dinge geschahen. Beispielsweise gab es den Bericht einer achtzigjährigen Frau aus al-Quz, die behauptete, Hilferufe und gequälte Schreie aus Assads Anwesen vernommen zu haben. Da sie jedoch geistig verwirrt zu sein schien, hatte niemand ihre Aussage ernst genommen. Erst die Beobachtung eines Nomaden hatte Interpol hellhörig werden lassen: Er hatte gesehen, wie mehrere Männer in einer entlegenen Region am Fuß der Tihamat-as-Sam-Berge eine Grube aushoben und die Ladung ihres Lkws darin verschwinden ließen. Er hatte vermutet, dass es sich um Giftmüll oder radioaktiven Abfall handelte, und den Vorfall gemeldet. Bei der Untersuchung der Grube stellte sich jedoch heraus, dass es die eingeäscherten Überreste von Schafen, Ziegen und Kraken gewesen waren. Auch menschliche Knochenfragmente befanden sich darunter. Die Überprüfung des Kfz-Kennzeichens ergab, dass der Laster zum Fuhrpark von Talit Oil gehörte, einem der Unternehmen Assads. Dort aber war man auf polizeiliche Ermittlungen eingestellt gewesen, und die Spuren waren im Sand verlaufen.
    An Assad selbst war nicht heranzukommen. Er hatte sich seit Jahren in seinen 1001-Nacht-Palast zurückgezogen. Und der Versuch, einen Durchsuchungsbefehl zu erhalten, war aus Mangel an Beweisen gescheitert.

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