Der zweite Gral
kein Konto mit dieser Nummer. Genauer gesagt, es existiert nicht mehr.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Dass es aufgelöst wurde. Gestern, um genau zu sein.«
Emmet verstand die Welt nicht mehr. Auf diesem Konto lagerte ein Vermögen im Wert von einer halben Milliarde Dollar – Geld, das sich im Laufe mehrerer Jahrhunderte angesammelt hatte. Und jetzt war dieses Konto von einem Tag auf den anderen aufgelöst worden?
»Von wem?«, fragte er.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Mister Felmy! Hier geht es um eine ungeheure Summe! Also kommen Sie mir ja nicht mit Ihrem Bankgeheimnis!«
Doch der Schweizer ließ sich die Antwort nicht entlocken. Emmet blieb im Moment nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden.
Zurück auf der Straße wich der anfängliche Schock allmählich wieder dem nüchternen Verstand. Außer Emmet selbst gab es bestenfalls noch zwei Menschen auf diesem Planeten, die ermächtigt waren, über das Schweizer Konto zu verfugen. Lara Mosehni und Anthony Nangala. Beide waren über jeden Zweifel erhaben, und Emmet vertraute ihnen blind.
Und die anderen Ordensmitglieder lagen unter den Trümmern in Leighley Castle begraben.
Dennoch hatte jemand das Konto aufgelöst und sich 500 Millionen Dollar unter den Nagel gerissen. Aber wer?
38.
L ara Mosehni packte in aller Eile ihre Reisetasche und warf einen Blick zum Radiowecker auf dem Nachttisch. 17 Uhr 19. Emmet sollte schon seit knapp zwanzig Minuten zurück im Sheraton sein, doch er hatte sich noch nicht bei ihr gemeldet.
Gegen ihren Willen verspürte sie eine gewisse Nervosität. Lara hatte den jungen Burschen aus der Bibliothek auf der verwaisten Vorstadt-Baustelle zwar überwältigen und befragen können, doch er hatte hartnäckig geschwiegen. Lara wusste nicht, was er von ihr gewollt hatte oder für wen er arbeitete. Aber sie war sicher, dass er ihr schon vom Hotel aus in die Bibliothek gefolgt war. Und wenn er ihre Unterkunft kannte, gab es gewiss noch andere. Emmet und sie waren im Sheraton nicht mehr sicher. Sie mussten sich schnell und unauffällig eine neue Bleibe suchen.
Es klopfte an der Tür – endlich!
»Augenblick!«, rief Lara, stellte ihre Tasche auf dem Sofa ab und öffnete. Doch kaum hatte sie die Klinke heruntergedrückt, flog ihr auch schon die Tür entgegen – so unerwartet und heftig, dass sie gar nicht begriff, was los war. Sie taumelte zurück, sah eine verschwommene, bärtige Gestalt auf sich zustürzen und erhielt einen Schlag gegen den Solarplexus, der ihr den Atem raubte. Ihr wurde schwarz vor den Augen, und sie fiel zu Boden.
Binnen weniger Sekunden hatte der Eindringling sie gefesselt und zum Sofa geschleppt. Dann setzte er sich vor sie aufeinen Stuhl und wartete schweigend, bis sie sich wieder erholt hatte.
Erst jetzt erkannte Lara das Gesicht, trotz Sonnenbrille und Vollbart. Auf der Reise nach Schottland hatte sie es an mehreren Flughäfen gesehen. Es war der Mann, dessen Spur sie in den letzten Tagen verfolgt hatte. Der französisch sprechende Japaner, der bei Hertz in Isfahan einen Wagen gemietet und Laras Wohnung von der gegenüberliegenden Straßenseite aus beobachtet hatte. Heute trug er einen blauen Arbeits-Overall, auf dem in arabischer Schrift Battani Elektroservice stand. Er verströmte die Kälte eines Berufskillers. Die Pistole in seiner Hand verstärkte diesen Eindruck noch.
»Mein Name ist Tom Tanaka, Spezialagent bei Interpol«, sagte er. Auch seine Stimme klang kalt. Er wirkte geradezu unheimlich. »Ich bin Ihnen schon eine ganze Weile auf den Fersen, Miss Mosehni. Oder sollte ich Sie mit Miss Macnamara oder Miss Watson anreden?«
Lara zuckte unmerklich zusammen. Der Mann kannte ihre Decknamen. Und wie sich herausstellte, wusste er auch über die Arbeit der Gemeinschaft ziemlich genau Bescheid. Was im Orden als rechtschaffen gegolten hatte, klang aus seinem Mund allerdings wie eine schier endlose Liste an Verbrechen: Hausfriedensbruch, unerlaubter Waffenbesitz, bewaffneter Raubüberfall, Gewaltandrohung, Körperverletzung, Nötigung, Totschlag. Lara wollte widersprechen, doch Tanaka schnitt ihr scharf das Wort ab. Aus irgendeinem Grund war er stinksauer auf sie, daher zog sie es vor, ihn nicht weiter zu provozieren.
»So lange Sie und Ihre Komplizen andere Kriminelle bekämpft haben, konnte ich Ihnen noch ein gewisses Verständnis entgegenbringen«, zischte er. »Aber Layoq hat den Bogen überspannt. Sie können Stierkämpfe nicht mit terroristischen Methoden bekämpfen, nur weil
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