Der zweite Gral
Vielleicht hatte Assad auch nur den Richter geschmiert.
Tanakas innere Stimme schrie ihn geradezu an, dass Assad Dreck am Stecken hatte. Doch als Polizist waren ihm die Hände gebunden. Deshalb fand er durchaus Gefallen an Lara Mosehnis Vorschlag. Je eher Assad das Handwerk gelegt wurde, desto besser. Falls Walsh gut genug war, diese Geschichte zu überleben, würde Lara Mosehni ihn an Interpol ausliefern. Falls er bei der Sache draufging, gab es einen Polizistenmörder weniger auf der Welt. Von welcher Warte aus Tanaka die Sache auch betrachtete – er konnte nur gewinnen.
Natürlich verstieß sein Deal mit Lara Mosehni gegen die Vorschriften. Pierre Dumont, sein Chef, würde ihm den Kopf abreißen, wenn er davon erfuhr. Aber Dumont war Theoretiker. In der Praxis erforderte das internationale Verbrechen eigene,spezielle Vorgehensweisen. Tanaka war lange genug dabei, um zu wissen, wie man sich wenigstens ab und zu einen Erfolg sichern konnte.
Er spürte eine Berührung am Arm. Ishak hielt ihm einen Kopfhörer hin. Er nahm ihn und streifte ihn über.
»Ich glaube, es geht los«, sagte der Techniker und startete die Tonaufzeichnung.
Ein Telefon klingelte. Auf dem Videomonitor sah man Lara Mosehni, die von ihrem Bett aufgestanden war und zu einer Kommode eilte, auf der das Telefon stand. Sie nahm den Hörer ab.
»Hallo?«
»Ich bin’s.«
»Emmet?«
Kurze Pause. »Wer sonst?«
»Wo bist du?«
»In meinem Zimmer.«
»Wo hast du so lange gesteckt?«
»Komm rüber, dann erzähle ich es dir.«
Ishak drückte einen Knopf, und das Videobild wechselte. Es zeigte ein ähnliches Zimmer aus ähnlicher Perspektive, aber eine andere Person: Emmet Garner Walsh alias Brian Fitzgerald. Er hängte soeben den Telefonhörer ein und ging zur Tür, um Lara Mosehni zu öffnen.
Die beiden setzten sich an den Tisch. Walsh erzählte von seinem Treffen mit einem Waffenschieber namens Hassan Gamoudi und davon, wie lange er nach ihm hatte suchen müssen. Anschließend war er bei der Bank gewesen, um sich Geld aus der Schweiz überweisen zu lassen, aber das Konto existierte nicht mehr, was ihn ernsthaft verärgert zu haben schien – kein Wunder bei einer halben Milliarde Dollar, die ihm abhanden gekommen war.
»Was ist los mit dir?«, fragte Walsh plötzlich. »Dich scheint das alles ja ziemlich unberührt zu lassen.«
Tanaka glaubte zu erkennen, wie Lara Mosehni zusammenzuckte. Doch sie überspielte die Situation ziemlich gut. »Im Gegenteil«, sagte sie. »Ich überlege nur, wer das Geld geklaut haben könnte.«
»Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit. Nur die Mitglieder des Ordens hatten Zugriff darauf. Aber außer uns beiden sind alle tot – abgesehen vielleicht von Anthony Nangala.«
»Du verdächtigst doch nicht etwa ihn?«
»Nein. Natürlich nicht.«
Tom Tanaka zog die Stirn kraus. Zuletzt war er davon ausgegangen, dass alle Mitglieder von Layoq noch lebten und dass die Zerstörung von Leighley Castle ein Bluff gewesen war, um Interpol zu entkommen. Jetzt rückte seine ursprüngliche Vermutung wieder in den Vordergrund, dass die Burg tatsächlich angegriffen worden war. Allerdings nicht von jemandem, der sich an Layoq rächen wollte, sondern von einem abtrünnigen Mitglied der Rosenschwert-Bande, der das viele Geld nicht teilen wollte.
Er nahm den Hörer ab, wählte die Nummer der Fahndungsabteilung in Lyon und bat den Kollegen am anderen Ende der Leitung, alles über einen Mann namens Anthony Nangala herauszufinden.
40.
D er Raum war klein und ungemütlich. Ein kahles Loch ohne Fenster. Nackte Betonwände, eine Pritsche mit Decke, eine Toilettenschüssel und ein Waschbecken – viel mehr gab es hier nicht. Dreimal täglich wurden ein Teller Suppe und ein Stück Brot durch eine Luke in der Tür geschoben. Die einzige Lichtquelle war eine Glühbirne an der Decke.
Anthony Nangala hockte mit angewinkelten Beinen auf der Pritsche, den Rücken zur Wand. Er fühlte sich schwach – nicht nur wegen der unfreiwilligen Diätkost, sondern auch, weil er sich in der winzigen Zelle kaum bewegen konnte. Das ständige Sitzen und die Nervenbelastung zehrten an seinen Kräften. In seiner Jugend, als er geboxt hatte, war er »der schwarze Tornado« gewesen. Heute kam er sich eher wie eine laue Herbstbrise vor.
Er starrte auf den Wasserhahn, der unablässig tropfte, seit er hier eingesperrt worden war. Anfangs hatte das monotone Geräusch ihn nicht weiter gestört, doch nach einiger Zeit hatte es ihn rasend gemacht. Jetzt
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