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Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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Ihnen diese Art von Unterhaltung missfällt. Und Sie können nicht nach Belieben Menschen töten!«
    Lara erinnerte sich an den Vortrag von Rodrigo Escobar auf Leighley Castle. Daran, dass er spanische Stierkämpfer mit gezielten Schüssen in Arme und Beine kampfunfähig gemacht hatte. Und daran, dass in der daraufhin einsetzenden Massenhysterie ein Kind erdrückt worden war. Lara entsann sich auch noch ihrer eigenen Zweifel an Escobars Vorgehen. Sie selbst hatte sich nach seinem Vortrag gefragt, wie viele gerettete Stiere ein Menschenleben rechtfertigten – insofern konnte sie Tanakas Argumentation nachvollziehen. Dennoch verspürte sie das Verlangen, die Ziele und Mittel des Ordens zu rechtfertigen und gewisse Dinge ins rechte Licht zu rücken.
    Mit ehrlichem Bedauern sagte sie: »Dieses Kind in Madrid, das war ein Unfall ...«
    Plötzlich sprang Tanaka so schnell von seinem Platz auf, dass der Stuhl nach hinten kippte. Mit einem Satz war er bei Lara; sein Gesicht war nur eine Handbreit von ihrem entfernt. Sie konnte seinen Atem und seinen Schweiß riechen. Und sie sah den blanken Hass in seinen zu Schlitzen verengten Augen.
    »Ich spreche nicht von dem Kind in Madrid, das wissen Sie genau!«, herrschte er sie an. »Ich spreche davon, dass vor nicht einmal einer Stunde einer meiner Kollegen umgebracht wurde!«
    Lara schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich habe niemanden umgebracht. Ich kenne Ihren Kollegen nicht einmal.«
    »Ach nein?« Tanaka kramte einen Pass aus einer Tasche. Auf dem Foto erkannte Lara den vermeintlichen Studenten aus der Bibliothek.
    Ihr erster Impuls war, weiterhin alles zu leugnen, doch sie ahnte, dass Tanaka ihr nicht glauben würde. Womöglich würde sie ihn durch eine Lüge nur noch mehr in Wut versetzen. Sie entschied sich für die Wahrheit. »Ich habe ihn gefesselt und ihm ein paar Fragen gestellt, weil ich wissen wollte, für wen er arbeitet ... das ist alles«, presste sie hervor.
    »Leider kann ich Ihnen nicht glauben, denn der junge Mann befindet sich gerade mit durchschnittener Kehle auf dem Weg ins Leichenschauhaus!«
    »Ich schwöre, ich habe ihn nicht getötet!«
    Tanaka packte Lara an den Haaren und riss ihr den Kopf nach hinten. Sie wollte sich wehren, zerrte an ihren auf den Rücken gefesselten Händen, gab es schließlich aber auf. Sie rechnete mit Schlägen oder Schlimmerem. Doch Tanaka hielt plötzlich inne, als würde er in diesem Moment erst begreifen, dass er als Interpol-Beamter gegenüber einer wehrlosen Frau nicht handgreiflich werden durfte, selbst wenn sie unter Mordverdacht stand. Er ließ von Lara ab und richtete sich wieder auf. Er machte jetzt einen gefassteren Eindruck.
    »Vielleicht sagen Sie die Wahrheit«, räumte er ein. »Es gibt einen Zeugen. Ein Kind, das auf der Baustelle gespielt und eine weitere Person gesehen hat. Einen Mann.« Laras aufkeimende Erleichterung wurde sofort wieder zunichte gemacht, denn Tanaka fuhr fort: »Die Beschreibung dieses Mannes passt exakt auf Ihren Begleiter – Emmet Garner Walsh alias Brian Fitzgerald. Der Kopf von Layoq Enterprises. Wenn Sie, Miss Mosehni, den Mord an meinem Kollegen nicht begangen haben, muss er es gewesen sein!«
    Lara war wie vor den Kopf gestoßen. Was Tanaka behauptete, konnte nicht wahr sein! Oder etwa doch? Sie versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Hatte Emmet sie als Lockvogel benutzt, um herauszufinden, ob sie beschattet wurden? War er ihr heimlich hinterhergeschlichen und hatte getan, wozu sie, Lara, nicht in der Lage gewesen war – diesen jungen Mann auf der Baustelle zu töten? Allein die Vorstellung jagte ihr Angst ein. Sie wusste, dass Emmet schon mehrere Menschen getötet hatte, aber bislang hatte er noch niemanden kaltblütig ermordet, nicht einmal diejenigen, die selbst mordeten oder Morde in Auftrag gaben. Das verstieß gegen den Ehrenkodex des Ordens. Hatte Emmet den Kodex diesmal verletzt, weil er darindie einzige Möglichkeit sah, Lara und sich zu beschützen? Sie spürte, wie ihr Magen sich verkrampfte.
    Tanaka beugte sich wieder zu ihr herunter. »Ich nehme an, Sie sind ein kleiner Fisch«, raunte er. »Ein kleiner Fisch, der sich auf etwas eingelassen hat, das ihm über den Kopf wächst. Aber ob Sie wollen oder nicht – Sie hängen in dieser Sache mit drin. Sie waren zum Zeitpunkt des Mordes am Tatort. Sie haben sogar zugegeben, dass Sie meinen Kollegen dorthin gelockt, ihn überwältigt und gefesselt haben. Ich könnte Sie also verhaften und in ein Gefängnis stecken, so

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