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Der zweite Gral

Der zweite Gral

Titel: Der zweite Gral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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Computermonitor war eingeschaltet. Weit konnte sie nicht sein. Reyhan überlegte, ob sie auf die Rückkehr der Sekretärin warten solle, als sie abermals etwas hörte. Leise, aufgeregte Stimmen. Ein unterdrückter Wortwechsel, eindeutig aus Doktor Goldmanns Büro, dessen Tür zum Vorzimmer nur angelehnt war.
    Die Unterhaltung wurde auf Englisch geführt, doch Reyhan verstand genug.
    »Nicht jetzt! Sie muss jeden Augenblick hier sein. Lassen Sie uns später darüber sprechen!« Das war Goldmann.
    »Wir können niemanden im Labor arbeiten lassen, der eine Gefahr für uns darstellt.« Die Stimme von Scheich Assad. »In sechs Tagen wollen wir uns selbst einer Verjüngungskur unterziehen. Ich will nicht, dass so kurz vor dem Ziel noch etwas schief geht!«
    »Die Frau stellt keine Gefahr dar. Sie war nur nicht auf dem aktuellen Stand der Dinge und deshalb überrascht. Bislang hatte sie nur mit Tierversuchen zu tun.«
    Reyhans Vermutung bestätigte sich: Die beiden sprachen über sie. Neugierig trat sie näher an die Tür.
    Jetzt wieder Assad: »Ich weiß, dass Sie eine Schwäche für die Frau haben. Aber sorgen Sie gefälligst dafür, das sie nicht die Nerven verliert und herumerzählt, was in diesem Labor vor sich geht.«
    »Sie wird nichts dergleichen tun, weil sie selbst von diesem Projekt profitieren will.«
    »Irgendwann wird sie merken, dass wir ihr nicht helfen können!«
    »Ich werde schon dafür sorgen, dass sie weiterhin daran glaubt.«
    Was weiter gesprochen wurde, nahm Reyhan nicht mehr wahr. Wie gelähmt stand sie an der Bürotür und versuchte, wieder die Kontrolle über sich zu erlangen. Doktor Goldmann hatte sie jahrelang belogen! Zuerst der Schock mit den Frischzellen und jetzt das!
    Reyhan hatte das Gefühl, ihr würde jemand den Boden unter den Füßen wegziehen, sodass sie in ein bodenloses schwarzes Loch fiel.
    Es gibt keine Rettung, dachte sie verstört. Weder für meine Familie noch für mich, noch für sonst einen HlV-Infizierten auf der Welt. Verzweiflung und Wut trieben ihr Tränen in die Augen. Goldmann und Assad hatten mit ihrer Hoffnung gespielt und sie schamlos ausgenutzt!
    Hinter der angelehnten Tür bemerkte sie eine Veränderung. Sie hörte nun keine Stimmen mehr, sondern Schritte. Das Gespräch war beendet.
    In Reyhan Abdallahs Kopf überschlugen sich die Gedanken.
    Wenn Goldmann und Assad mich hier sehen, werden sie argwöhnen, dass ich gelauscht habe!, schoss es ihr durch den Kopf. Dann werden sie wissen, dass sie mir nicht mehr vertrauen können. Ich muss von hier verschwinden!
    Um sich auf dem blanken Linoleumboden nicht zu verraten, zog sie rasch die Schuhe aus. Dann rannte sie so schnell sie konnte hinaus auf den Flur. Leise schloss sie die Tür hinter sich. Geschafft! Sie schlüpfte wieder in ihre Schuhe. Jetzt nur noch um die nächste Ecke, dann war sie endgültig außer Gefahr.
    Noch bevor sie den nächsten Quergang erreichte, spürte sie, wie hinter ihr die beiden Männer in den Flur traten. Prompt hörte sie Goldmann rufen: »Reyhan? Reyhan, sind Sie das?«
    Sie drehte sich um und gab sich Mühe, einen unverfänglichen Eindruck zu machen. Doktor Goldmann winkte sie zu sich, während er gleichzeitig Assad verabschiedete. Der Scheich ging in die entgegengesetzte Richtung davon.
    »Ich habe schon nach Ihnen suchen lassen, Reyhan«, sagte Goldmann. »Wo haben Sie gesteckt? Ich habe mir Ihretwegen Sorgen gemacht.«
    »Ich musste mir ein paar Zigaretten gönnen«, gestand sie.
    Goldmann nickte und fixierte sie mit seinen durchdringenden Augen. »Es tut mir Leid«, sagte er. »Ich hätte Sie warnen müssen vor dem, was Sie heute im OP erwartet hat. Es war mein Fehler. Lassen Sie uns in meinem Büro darüber sprechen, in Ordnung?«
    Sie folgte ihm in das fensterlose, aber gemütlich eingerichtete Zimmer. Hier gab es kein Linoleum, sondern Parkettboden. Der Schreibtisch und der mit orientalischem Bezug bespannte Sessel standen auf einem großen, handgeknüpften Perserteppich. Hinter dem Sessel befand sich eine beeindruckende Bücherwand.
    Reyhan und Goldmann setzten sich an einen Besprechungstisch.
    »Geht es Ihnen wieder besser?«, fragte der Wissenschaftler.
    »Ein wenig«, log Reyhan. Was hätte sie sagen sollen? Dass sie sich auf keinen Fall an den Abscheulichkeiten beteiligen würde, die in diesem Labor begangen wurden?
    »Ich kann Ihre Reaktion gut verstehen.« Bei diesen Worten legte Goldmann seine Hand auf die ihre. Eine sanfte, beinahe schon zärtliche Berührung. »Ich bin

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