Der zweite Gral
hätte ihr nicht trauen dürfen. Dumont wird mich dafür umbringen, dass ich sie nicht sofort verhaftet habe.«
Tanaka rieb sich die Stirn und gähnte abermals. Sein Schädel schmerzte, als er an den gestrigen Abend dachte – an den Wagen, der Mosehni und Walsh abgeholt hatte, an die Verfolgungsjagd, an die Enttäuschung, nachdem er und Ishak das Ziel aus den Augen verloren hatten.
Seitdem warteten die beiden Beamten vor dem Jeddah Sheraton auf die Rückkehr der beiden Gesuchten, bislang ohne Erfolg.
Die nächste Beförderung wird wohl noch eine Weile auf sich warten lassen, dachte Tanaka trübsinnig.
Er nahm den Telefonhörer ab, um die Nummer der Interpol-Zentrale in Lyon zu wählen. »Warum auf einen Anschiss warten, wenn man ihn auch gleich haben kann?«, meinte er sarkastisch. Doch Ishak hielt Tanakas Hand fest und deutete mit dem Kopf auf den Videomonitor in der Mitte der Überwachungskonsole. Ein Stein der Erleichterung fiel Tanaka vom Herzen, als er Lara Mosehni und Emmet Walsh erkannte, die soeben eins der Hotelzimmer betraten. »Ich frage mich, wo die beiden die ganze Nacht gewesen sind«, raunte er.
Lara und Emmet legten ihre Unterlagen auf den Tisch und setzten sich.
»Ich bin völlig erledigt«, sagte Lara, während sie den Kopf kreisen ließ, um die Verspannungen zu lockern. »Soll ich uns einen Kaffee bestellen?«
»Gute Idee. Am besten einen ganzen Eimer – für jeden von uns.«
Lara lächelte müde, ging zum Telefon und gab die Bestellung auf.
»Wird in ein paar Minuten gebracht«, sagte sie und ließ sich wieder auf den Stuhl sinken. Emmet hatte inzwischen die Unterlagen ausgebreitet, die sie in der Nacht aus Omar Larbis Büro geklaut hatten.
Auf einem großen Bogen Papier war der Grundriss von Scheich Assads Palast zu sehen. Mehrere kleinere Blätter zeigten Detailpläne. Aus der Draufsicht stellte das Grundstück ein perfektes, in Ost-West-Richtung ausgerichtetes Rechteck dar – 350 Meter breit, 700 Meter lang –, umgeben von einer dicken, begehbaren Mauer und an jeder Ecke je einem beeindruckenden Wehrturm. An der Westflanke ging die Mauer nahtlos in den eigentlichen Palastbau über, der von zwei weiteren, noch imposanteren Türmen flankiert wurde. Nach Osten hin erstreckte sich die weitläufige Gartenanlage.
»In der Südmauer ist ein Tor«, stellte Emmet fest. »Wahrscheinlich fur Lieferanten. Oder fürs Personal.«
Lara bemerkte, dass er kaum noch die Augen offen halten konnte. Ihr selbst ging es kaum anders, und sie fragte sich, wie lange der Kaffee noch auf sich warten ließ.
Sie begutachteten die nächste Grundrissdarstellung – das Obergeschoss des Palastgebäudes. Wie bereits im Erdgeschoss gab es hier viele Zimmer, jedes verschwenderisch groß und der vielen Fenster wegen völlig ungeeignet, um ein oder gar mehrere Gekidnappte darin gefangen zu halten. Interessanter erschien Emmet und Lara da schon der Keller, der auf der nächsten Seite abgebildet war. Aber erst als sie ein separates Papier mit der Überschrift »Labor« zur Hand nahmen, wussten sie, dass sie dem Ziel ihrer Suche näher als jemals zuvor waren.
Eine Datumsangabe rechts oben verriet, dass dieser Trakt erst nachträglich erbaut worden war. Lara hatte dies bereits bei ihren Internet-Recherchen herausgefunden. Dennoch spürte sie plötzlich ein Kribbeln auf der Haut. Sie legte das Papier am Kellergrundriss an und stellte fest, dass der eingezeichnete Durchgang exakt passte. Das Labor war also tatsächlich ein unterirdischer Anbau.
»Es scheint nur einen Zugang zu geben«, sagte Lara. »Über diesen Raum hier – das Aquarium.«
Emmet nickte bloß; er war zu müde, um sich zu äußern.
Es klopfte an der Tür. »Zimmerservice.«
Lara stand auf, öffnete und nahm der jungen Hotelangestellten ein Tablett mit zwei dampfenden Kaffeetassen ab. »Schreiben Sie die Rechnung bitte aufs Zimmer an«, bat sie und drückte dem Mädchen ein Trinkgeld in die Hand.
Als Lara zum Tisch zurückkam, schlief Emmet in seinem Stuhl. Die Hände hatte er über dem Leib gefaltet, der Kopf lag seitlich gekippt auf der Schulter. Die Art und Weise, wie er bei jedem Atemzug leise, säuselnde Geräusche von sich gab, erinnerte Lara an ihren Großvater. Emmet sah aus wie die Sanftmut in Person – so gar nicht wie jemand, der einen Polizisten getötet hatte.
Lara seufzte. Verbrecher sehen nie wie Verbrecher aus, dachte sie. Verdammt, Emmet, warum hast du das getan?
51.
A uf dem Essenswagen, den Reyhan Abdallah vor sich her schob,
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