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Der zweite Kuss des Judas.

Der zweite Kuss des Judas.

Titel: Der zweite Kuss des Judas. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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wie in ähnlichen Fällen üblich, um die Leute einzuschüchtern und eigene Stärke und Macht zu demonstrieren, wurde nicht gefunden. Außerdem ist diesbezüglich kein Gerücht aufgekommen, keiner unserer Informanten konnte uns dazu etwas sagen. Der berüchtigte Mafioso Calogero Pirrello soll unter Freunden sogar Folgendes gesagt haben:
      Falls Patò lebendig zurückkehre, würde er, Pirrello, ihn mit eigenen Händen umbringen, und zwar wegen der von ihm getätigten Einzahlung einer hohen Summe, die Patò in seiner Funktion als Filialdirektor nicht verbucht habe (siehe Bericht Tgb.-Nr. 222 vom 10. April d.J.). Doch auf das Thema Pirrello werden wir zu gegebener Zeit noch zurückkommen. Also bleibt nur eines zu vermuten:
       Antonio Patò ist von selber verschwunden, insofern als er sein Verschwinden selbst herbeigeführt hat.
      Aber warum wollte er verschwinden? Möglicherweise hat der Erhalt des anonymen Briefes das Verschwinden bewirkt. Dieser Brief muss, obwohl an und für sich nicht lebensbedrohlich, für Patò etwas sehr Schlimmes bedeutet haben.

    § 3) Vorbereitung des Verschwindens.

      Zum Verschwinden entschlossen, bereitet Antonio Patò die Angelegenheit mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit und Disziplin vor.
      Am Vorabend der Aufführung lässt er sich von Don Gesuino Albanese das Judaskostüm geben und nimmt es in einem Jutesack, den er ebenfalls von Don Albanese bekommen hat (siehe Bericht Tgb.-Nr. 323 vom 3. April d.J.), in die Bank mit. Er tut das mit dem alleinigen Ziel, sich den Leuten mit einem verschlissenen Jutesack in der Hand zu zeigen, und aus einem ganz bestimmten Grund, nämlich weil er das Kostüm darin verwahren kann. Andernfalls wäre es den Leuten unschicklich erschienen, dass eine gesittete und anständige Person wie Antonio Patò wie ein Bauer mit einem Jutesack herumläuft. Er hat alles, was er tun muss, bereits im Kopf, denn die Idee dazu kam ihm, als er das Hirtenspiel sah, das an den Weihnachtstagen des vergangenen Jahres in Vigàta aufgeführt wurde.
    Im Hirtenspiel gibt es einen populären Narren namens Nardo,
    dessen Bravourstück in einer komischen Flucht besteht, zu der er sich verkleidet.
      Er stiehlt seinen Gefährten, während sie schlafen, Kleidungsstücke, zieht sie an und legt einen langen falschen Bart an, der nichts anderes ist als passend zurechtgeschnittene Schafwolle.
      Während der Hauptprobe zum Passionsspiel begab sich Patò, wie allgemein bezeugt, in den Umkleideraum für die männlichen Schauspieler, um die Komparsen zu begrüßen.
      Doch hinter dieser von jedermann als herzlich aufgefassten Geste verbarg sich die Gelegenheit, zu prüfen, welche Kleidungsstücke der Komparsen sich, wenn es so weit war, am besten eigneten.

      Es ist noch zu vergegenwärtigen, dass zur Rolle des Judas kein Vollbart gehörte: In der Tat trug Patò, als er spielte, seinen eigenen Schnurrbart. Aber Patò hatte einen falschen weißen Vollbart mit dazugehörigem weißem Schnurrbart in greifbarer Nähe. Er befand sich, unbenutzt, in einer großen Kiste mit Requisiten, die sicherheitshalber in Überzahl vorhanden waren, die Don Albanese jedoch, da sie nicht benötigt worden waren, in Kammer 2 (siehe Anlage 4 zum Bericht Tgb.-Nr. 216 vom 30. März d. J.) verwahrte. Kammer 2 liegt direkt gegenüber von Kammer 16, also jener Kammer, in der Patò sich auskleidete und das Judaskostüm anlegte. Und zum Beweis:
      Während unseres Aufenthalts in Palermo (Urlaubsgesuche Nr. 374 und 221 vom 8. April d. J.) suchten wir, als wir von privaten Verpflichtungen kurzzeitig frei waren, die Firma »Ronconi &. Co.« auf, die immer alles Zubehör für das Passionsspiel liefert, von Kostümen über Requisiten bis hin zu allem anderen.
    Höflich erklärte uns Signor Ronconi, dass er das Judaskostüm und einen langen weißen Bart mit Schnauzer, der gut gearbeitet und teuer war, nicht zurückbekommen habe. In Ermangelung derselben habe er einen Beschwerdebrief nach Vigàta geschrieben, und man habe ihm geantwortet, dass man ihm den Schaden ersetzen werde. Das bestätigte Don Gesuino Albanese. Die Schwierigkeit bei der bäuerlichen Verkleidung waren schließlich noch die Füße. Patò war nicht gewohnt, barfuß zu gehen, auch die so genannten »scarpi di pilu« war er nicht gewohnt. Er brauchte also ein Paar richtige Schuhe. Doch darauf kommen wir in Bälde zurück.

    § 4) Wie das Verschwinden vor sich ging.

      Die Umstände des Verschwindens waren folgende: Antonio Patò

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