Der zweite Mord
Wand. Eine rechtspsychiatrische Untersuchung war bereits beantragt. Bis dahin würde es jedoch dauern. Die Ermittlungsgruppe wollte ihre offenen Fragen gerne vorher beantwortet haben.
»Das Schwierige an der Beweisführung ist, dass nur Carina selber beantworten kann, wie die Morde abgelaufen sind und warum sie sie verübt hat. Eigentlich haben wir nur sehr dürftige Beweise. Unser Trumpf ist natürlich die Taschenlampe, die im Kofferraum ihres Wagens gefunden wurde. Dass sie diese Taschenlampe behalten hat, auf der ›Intensiv‹ und die Initialen M. S. eingraviert sind! Die Haare in der Reisetasche sowie die Fingerabdrücke stammen ebenfalls von ihr. Nichts davon beweist jedoch, dass die Morde wirklich sie begangen hat. Das Einzige, was wir de facto in der Hand haben, ist der Mordversuch an der Inspektorin Huss«, sagte Inez Collin.
»Sie war verdammt tüchtig, alle Zeugen aus dem Weg zu räumen«, brummelte Kommissar Andersson.
»Eine entging ihr jedoch«, sagte Birgitta Moberg.
Sie machte eine Kunstpause, bevor sie fortfuhr:
»Siv Persson. Ich habe sie gestern Abend in London angerufen. Sie kommt heute Nachmittag mit ihrem Sohn nach Hause.«
»Sie wird nie zugeben, dass es sich nicht um ein Gespenst gehandelt hat!«, schnaubte Jonny.
»Das hat sie bereits getan. Ich glaube, es war der erste Schock, der sie so felsenfest daran glauben ließ, dass sie ein Gespenst gesehen hätte. Am Telefon hat sie etwas Interessantes zu mir gesagt: ›Jetzt hat sie angefangen, mir den Kopf zuzuwenden. Bald sehe ich, wer es ist.‹ Als ich sie fragte, wie sie das meint, erwiderte sie: ›Genau so.‹ Vielleicht erkannte sie Carina ja doch«, meinte Birgitta.
»Die Alte ist vollkommen übergeschnappt«, sagte Jonny.
Irene bewegte vorsichtig ihr eingegipstes Bein. Unter dem Gips juckte es. Die Operation der vom Knochen abgerissenen Sehnen war gut verlaufen, aber sie würde ein paar Wochen lang einen Gips tragen müssen. Glücklicherweise hatten die Knochen gehalten: Knochenerweichung hatte bei ihr wohl noch nicht eingesetzt.
Inez Collin sah lange auf Irenes eingegipstes Bein. Nachdenklich legte sie den Kopf zur Seite. Schließlich sagte sie:
»Ein gegipstes Bein sieht wirklich eindrucksvoll aus. Viel schlimmer als ein gegipstes Handgelenk.«
Die versammelte Ermittlungsgruppe sah höflich erstaunt aus. Nachdenklich meinte die Staatsanwältin:
»Ich denke daran, welcher Persönlichkeitstyp Carina ist. Ich habe den Eindruck, sie findet, dass sie über allen anderen steht. Cleverer. Schöner. Stärker. Sie findet, dass sie das Recht hat, zu allen Mitteln zu greifen, um ihre Ziele zu erreichen. Eine Psychopathin. Ich glaube, sie ist so eitel wie die meisten Psychopathen. Sehr eitel. Vielleicht sollten wir uns das zu Nutze machen.«
Schnell skizzierte sie ihre Strategie. Erst protestierte Irene lautstark, ließ sich zum Schluss aber überzeugen. Es war wirklich einen Versuch wert.
Sie liehen sich einen Rollstuhl von der Einsatzzentrale. Irene setzte sich, und ihre Kollegen halfen ihr, die Beinstütze auszuklappen. Das gegipste Bein vor sich ausgestreckt sah sie in der Tat ziemlich kläglich aus. Wehrlos und verletzlich.
Fredrik Stridh sollte Pfleger spielen. Mit quietschenden Reifen fuhr er sie in den Aufzug, um noch durch die Türen zu kommen, die sich gerade schlossen. Er drückte auf einen der oberen Knöpfe, und sie fuhren ins Stockwerk, wo das Untersuchungsgefängnis untergebracht war.
Carina war eben erst aus der Dusche gekommen. Sie saß da und trocknete sich ihre Haare mit einem Handschuh. In der kahlen Zelle roch es gut, weiblich. Ein teures Parfüm, das ganz schwach nach Kokos duftete. Dieser Duft hatte Irene in der Garage gewarnt, dass sie nicht mehr alleine war. Der Aufenthalt in Untersuchungshaft hatte Carinas Sonnenbräune noch nicht verblassen lassen. Nicht zu fassen, dass diese schöne Frau eine mehrfache Mörderin ist, dachte Irene.
Fredrik trat als Erster in die Zelle und sagte.
»Hallo. Sie haben Besuch.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, trat er wieder auf den Korridor und schob Irene mit dem Rollstuhl in die Zelle. Carina hörte damit auf, sich die Haare trockenzurubbeln, und sah Irene durchdringend an. Sie sagte immer noch nichts.
Fredrik meinte:
»Wirklich nicht schön, wie sie der armen Irene zugesetzt haben. Das Bein ist glatt durchgebrochen! Sie ist mehrere Monate lang krankgeschrieben!«
Das Letzte sagte er nur, weil er sich etwas zu lebhaft in Irenes Rolle hineinversetzt hatte. Carina
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