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Der zweite Mord

Der zweite Mord

Titel: Der zweite Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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fest.
    Die anderen im Zimmer konnten ihm da nur zustimmen. Der Kommissar seufzte tief und wandte sich an Irene.
    »Was hast du über Andreas Svärd und seinen Freund herausgefunden?«
    Irene erstattete Bericht über die Verhöre von Mariannes Exmann und seinem Partner. Sie einigte sich mit Hannu Rauhala, dass dieser das Alibi von Niklas Alexandersson überprüfen würde.
    Anschließend kam Irene auf Mama Vogel zu sprechen. Sie erzählte vom Gespräch mit Folke Bengtsson und von der Durchsuchung von Mama Vogels Nachtasyl im Gartengeräteschuppen.
    Andersson sah erstaunt aus und sagte:
    »Aber das Sozialamt kümmert sich doch wohl um solche Leute?«
    Tommy raschelte mit seinem Block und blätterte, ehe er antwortete:
    »Ich habe gestern Nachmittag viel Zeit am Telefon verbracht und kann nur feststellen, dass es in unserer Gesellschaft Menschen gibt, die wir und unsere Behörden zur Unsichtbarkeit verdammt haben. Die Behörden schieben sie so lange hin und her, bis es sie zum Schluss nicht mehr gibt.«
    »Aber Obdachlose haben wir doch schon alle einmal gesehen«, protestierte der Kommissar.
    »Bei den Obdachlosen handelt es sich nicht um eine homogene Gruppe. Die meisten sind Männer mit Alkohol- oder Drogenproblemen, solche Probleme haben natürlich auch Frauen. Aber ich spreche von den psychisch Kranken. Absonderliche Menschen, die keine Chance haben, allein fertig zu werden. Weder innerhalb noch außerhalb der Gesellschaft.«
    Tommy machte eine Pause und trank noch den letzten Schluck aus seinem Kaffeebecher. Dann fuhr er fort:
    »Wohnungslose Menschen lassen sich nicht über das Sozialamt aufspüren, wenn man nicht ihren Namen, ihre Personenkennziffer oder ihre Adresse hat. Von Mama Vogel kennen wir nur den Spitznamen. Dann wissen wir noch, dass sie auf dem Drottningtorget anzutreffen ist, dort Tauben füttert, und dass sie über Weihnachten im Geräteschuppen der Löwander-Klinik untergekrochen ist. Dann haben wir noch Irenes Rekonstruktion von der Tonbandaufnahme, die Kurt Höök gemacht hat. Diese zeigt ganz deutlich, dass sie psychisch krank ist. Ich habe mich mit den Leuten von der Stadtmission und der Heilsarmee unterhalten. Die sagen, dass die Situation für psychisch Kranke anders ist als für Fixer und Alkoholiker. Für die gibt es in der Tat zwei Einrichtungen. Für Obdachlose und psychisch schwer kranke Menschen gibt es überhaupt nichts.«
    »Das kann ich kaum glauben!«, widersprach Birgitta.
    »Die Reform zur Schließung der psychiatrischen Anstalten, durch die die psychisch Kranken wieder in die Gesellschaft integriert werden sollten, hat für die gut funktioniert, die Hilfe von Angehörigen und vom Sozialamt bekommen. Aber eine Gruppe wurde vergessen. Diejenigen, die nicht einmal auf der Station eines Krankenhauses zurechtkommen, sollen plötzlich mit ihrer persönlichen Hygiene, ihrer Wohnung, ihren Mahlzeiten und ihren Finanzen fertig werden. Viele von ihnen haben keine Kontakte zu Angehörigen oder Freunden. Eine große Zahl von ihnen hat Selbstmord begangen.«
    »Wie viele?«, fragte Birgitta aufgebracht.
    »Das weiß niemand. Es gibt keine Statistik. Wer will das schon wissen?«
    »Wo, zum Teufel, sind diese Menschen?«, fragte Andersson.
    »Sie tauchen oft bei Kaffeekränzchen auf, die von Kirchengemeinden, der Stadtmission und der Heilsarmee veranstaltet werden. Die Stadtmission fährt abends und nachts mit einem Kleinbus herum, und dann kriechen sie aus ihren Löchern und werden mit Butterbroten und Kaffee versorgt.«
    »Sie müssen also sehen, wie sie zurechtkommen?«, sagte Birgitta aufgebracht.
    »Ja. Die Stadtmission und die Heilsarmee kümmern sich nur um Leute, die bei ihnen Hilfe suchen. Als ich darüber gestern mit meiner Frau sprach, meinte sie: ›Als alte Krankenschwester kann ich nur feststellen, dass unsere Regierenden erfolgreich den Dorftrottel und die Klippe wieder eingeführt haben, von der sich nutzlose Alte stürzen sollen.‹ Das sind zwar harte Worte, aber irgendwo hat sie Recht.«
    »Aber viele haben es doch, wie du selbst gesagt hast, jetzt besser«, wandte Irene ein.
    »Gewiss. Aber die hätten vielleicht ohnehin nicht permanent in psychiatrische Anstalten eingewiesen werden sollen. Für die ist die Reform natürlich eine Befreiung. Aber die Gruppe, von der ich spreche, ist einfach durch jede Masche des sozialen Netzes gerutscht. Und niemand kümmert sich darum.«
    »Warum nicht?«, fragte Irene.
    »Diese Gruppe ist sehr aufwendig in der Pflege. Es würde den Staat

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