Der zweite Mord
lag der Stadtteil Guldheden jedoch stark zentral.
Hier oben war es windig und der Regen hatte zugenommen. Nicht einmal Sammie schien Lust auf einen Spaziergang zu haben, sondern hatte es eilig, ins Treppenhaus zu kommen.
»Hallo. Meine Güte, wie spät du wieder dran bist. Ich habe schon bei dir angerufen, aber als niemand abhob, dachte ich, dass du schon auf dem Weg bist. Aber als du dann immer noch nicht aufgetaucht bist, dachte ich schon, dass vielleicht etwas passiert ist und …«
»Hallo, Mama. Hast du ein Handtuch für Sammie? Ich habe vergessen eins mitzunehmen.«
Irene sagte das mehr, um den Redefluss ihrer Mutter zu unterbrechen. So war es immer. Vielleicht war sie zu viel allein? Nein, beruhigte Irene ihr Gewissen, ihre Mutter hatte eine Begabung dafür, sich aufzuregen.
Das Mittagessen bestand aus einem guten Schollengratin mit Unmengen frischen Krabben, und beim Essen kamen sie richtig gut miteinander aus. Sie waren beim obligatorischen Kaffee danach angelangt, als ihre Mutter plötzlich sagte:
»In zwei Wochen fahre ich auf die Kanarischen Inseln.«
Irene war vollkommen überrumpelt, es gelang ihr jedoch zu stammeln:
»Wie … wie nett.«
So weit sie wusste, war ihre Mutter nie weiter als bis nach Dänemark gekommen. Mama Gerd holte tief Luft und sah ihrer einzigen Tochter in die Augen.
»Wir fahren zusammen. Sture und ich.«
»Sture? Wer ist das?«
»Ein Mann, den ich beim Tanztee kennen gelernt habe. Ich gehe da doch jeden Donnerstag hin.«
»Wie … wie lange seid ihr schon …?«
»Wie lange wir uns schon kennen? Ein halbes Jahr. Im Herbst ist er zum ersten Mal beim Tanztee aufgetaucht. Seine Frau ist vor zwei Jahren gestorben. Das erste Jahr ging es ihm nicht gut, aber dann hatte er das Gefühl, dass es allmählich an der Zeit wäre, neue Menschen kennen zu lernen. Dann sind wir uns begegnet und … nun, dann sind wir uns begegnet.«
»Aber warum hast du nichts gesagt? Weihnachten hätte er doch …«
»Weihnachten war er bei seiner Tochter in Örebro, und ich war bei dir. Neujahr war er dann bei seinem Sohn hier in Göteborg. Aber den Dreikönigstag haben wir zusammen gefeiert.«
Bei diesem letzten Satz errötete ihre Mutter leicht. Es war ein seltsames Gefühl, ihrer frisch verliebten, bald siebzigjährigen Mutter gegenüberzusitzen.
»Wie alt ist er?«, fragte Irene vorsichtig.
»Zweiundsiebzig. Gut dabei. Bisschen Asthma.«
»Wie heißt er mit Nachnamen?«
»Hagman. Sture Hagman. Pensionierter Postamtsleiter. Er wohnt in der Syster Emmas Gata. Er hat sein Haus verkauft, als er Witwer wurde.«
Es war langsam an der Zeit, zum Bahnhof zu fahren und die Zwillinge zu holen. Irene umarmte ihre Mutter und wünschte ihr viel Glück mit Sture.
Sie hatte Mühe, einen Parkplatz zu finden. Eine Weile fuhr sie im Kreis, bis sie endlich Glück hatte. In der protzigen Halle des Hauptbahnhofes geriet Sammie wegen der vielen Menschen ganz außer sich. Das war mehr, als sein kleines Terrierhirn verkraften konnte. Als sie auf den Bahnsteig kamen, wurde es auch nicht besser. Irene schimpfte mit ihm und versuchte ihn zu beruhigen.
Da glitt der Zug aus Karlstadt in den Bahnhof. Als Erste stiegen Katarina und Jenny aus. Sammie geriet außer sich vor Freude, und alle Ermahnungen seines Frauchens, nicht verrückt zu spielen, gingen ins Leere.
Die Mädchen sahen munter und erholt aus. Nachdem sie sich umarmt und geküsst hatten, begannen sie wie immer gleichzeitig von den Ferien zu erzählen. Irene hörte nur mit halbem Ohr zu. Ihr waren die Schlagzeilen vor dem Pressecenter ins Auge gefallen.
»Warum wurde Schwester Marianne ermordet?«, fragte Aftonbladet. »Wo ist Schwester Linda?«, konterte GT, und in kleineren Buchstaben: »Ihre Zeit läuft ab.«
Irene stellte sich einige weitere Schlagzeilen vor: »Wo ist Mama Vogel, alias Gunnela Hägg?« Und: »Warum brannte der Schuppen im Krankenhauspark?« Eine dritte Möglichkeit schoss ihr durch den Kopf: »Warum hatte Schwester Marianne den Taschenkalender von Schwester Linda in der Kitteltasche?« Einen Augenblick lang hatte Irene das Gefühl, dass sie die Antworten lieber nicht wissen wollte. Aber natürlich wollte sie das doch. Sie war schließlich Polizistin.
KAPITEL 11
Der Regen hatte im Verlauf der Nacht aufgehört. Auf den Straßen war es spiegelglatt. Die Temperatur war knapp unter null, und in Göteborg herrschte das übliche Winterchaos.
Zur Morgenbesprechung kam Irene verspätet, alle anderen aber auch. Svante Malm trat als
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