Der zweite Tod
schreibt …«, sagte Nura mit ernster Miene, »… dann kennen ihn dennoch alle, und auf der Straße fragt ihn jeder, wann sein erster Vortrag stattfindet.«
Nura schaute ihr dabei in die Augen. Linda wusste nicht, welche Reaktion Nura von ihr erwartete. Nura klopfte ihr auf die Schulter.
»Du lernst fahren, hat Sofi erzählt.«
Linda nickte.
»Dann kannst du zeigen, hier!« Nura deutete auf die Fahrertür des Wagens. Ihr Fundus an lustigen Befehlen wie »Bitte gehst du hier!« oder »Bitte dort stehst du dort!« würde sich wohl nie erschöpfen. Dabei sprach sie gar nicht so schlecht Schwedisch, man musste ihre Wörter nur wie mit einem Meißel aus einem Steinblock herausarbeiten. Ihrer Freundin Sofi dichtete Nura ein Arabisch an, das an Vollendung nur noch vom Propheten selbst übertroffen wurde. Allerdings tat sie das auch bei jedem von Lindas Experimenten mit dem Arabischen, und dabei konnte sie gerade einmal Shukran sagen und einen jasminigen Morgen wünschen.
Unsicher schwang sich Linda hinter das Steuer. Zum ersten Mal war sie wirklich aufgeregt, Auto zu fahren. Viel konnte ja nicht passieren, sagte sie sich. Sie durfte nur kein Schlagloch übersehen. Und die waren schon von weitem zu erkennen.
34
Nach dem Mittagessen zog sich Kjell in den Besprechungsraum zurück. Dort begann er, alle bislang bekannten Personen und ihre Verbindungen zueinander an die Tafel zu schreiben. Erst jetzt fiel ihm auf, wie vage alles war. Die Module seiner Theorie waren bisher zu kantig, um sich locker in ein Szenario pressen zu lassen. Aber im Zurechtruckeln lag seine Stärke. Er konnte Mari Svahn und die Wohnung im Haus gegenüber nicht verknüpfen. Alles lief auf die Frage hinaus, ob es zwischen den beiden eine Verbindung gab. Es musste eine geben.
Was hatte Linda eigentlich gesehen? Zwei, drei Gestalten, die in der Nacht in einer leeren Wohnung ohne Licht herumschlichen. Zweimal hatte kurz eine Taschenlampe aufgeleuchtet. Und sonst hatten einige Lämpchen geblinkt. Außer dem ausgewechselten Türschloss war das alles. Sicher nichts Legales, aber hatte es etwas mit Carl Petersson zu tun? Selbst wenn, musste es nicht mit dem Mord zusammenhängen. Vielleicht hatten diese Leute nur von seinem Tod erfahren und dann auf eine Gelegenheit gewartet, die Wohnung unbemerkt zu betreten. Das würde bedeuten, dass es etwas in der Wohnung gab, dessen Bedeutung Kjell noch nicht erkannt hatte. Das Passwort? Das konnte sein, denn Lindas Beobachtung lag zeitlich kurz nach der Entzifferung. Ganz sicher hatten diese Leute nicht damit gerechnet, dass Linda dort oben am Fenster sitzen würde. Das war wirklich typisch für sie. Sie hatte dieses Talent von ihrem Vater geerbt, da waren sich alle in der Gruppe einig. Per hatte am Morgen Carl Peterssons Wohnung ohne Ergebnis auf Wanzen und Sender überprüft. Auch die Datenleitungen waren nicht angezapft worden.
Sie hatte dicke Oberschenkel. Das fiel ihm an Mari Svahn zuerst auf. Dem Aussehen nach hätte sie auch erst achtzehn sein können. Sie war nicht dick, aber alles an ihr wirkte rund und gewölbt, bis hin zu ihren Wangen und dem Nasenrücken. Abgerundet wie die Karosserie eines französischen Kleinwagens.
Sie kümmerte auf dem Stuhl im Verhörraum eins, als Kjell eintrat. Sie musste gespürt haben, dass er der Chef war, denn sie erhob sich artig. Da sah er, dass ihre Oberschenkel nur beim Sitzen so breitgedrückt wurden.
Mari Svahn trug ihre dunkelbraunen Haare als Pagenkopf auf Kinnlänge. Ihre Kindlichkeit erschreckte ihn. Carl Petersson hatte deutliche Züge eines alten Mannes aufgewiesen. Er mochte den Gedanken nicht haben, dass es zwischen den beiden ein sexuelles Verhältnis gegeben hatte.
Beim ersten Anblick hatte sie ernst gewirkt, fast zornig. Ihre Augenbrauen waren französische Zirkumflexe und das einzig Eckige an ihr. Ihre schwarzen Augen verstärkten den Eindruck ständigen Zorns. Dieser Ausdruck hielt an, bis sie gähnen musste. Danach deutete sich ein Lächeln an, das alles Zornige mit einem Wisch aus ihrem Gesicht vertrieb.
Zu ihm und Mari gesellten sich noch Barbro und Henning. Sie hatten Mari beim Zoll in Arlanda abgeholt. Kjell gab Mari die Hand und stellte sich vor. Alle nahmen Platz.
»Um diese Jahreszeit fährst du also an die Costa de la Luz«, begann er. »Bei dem eisigen Wind dort. Sei froh, dass du wieder hier bist.«
Ihr Gesicht verschloss sich wieder mit minimalem Aufwand, allein durch eine winzige Bewegung ihrer Augenbrauen.
»Wie ist es dir bei
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