Der zweite Tod
wenig, dass der Kerl irgendwo Geld deponiert haben musste. Kjell war sich nicht sicher, ob er für die Immobilie allein sogar mehr herausgeschlagen hätte. Er sagte zu und rief danach noch beim Notar und bei der Bank an. Sein Anlageberater freute sich, denn Kjell hatte noch nie von sich aus angerufen. Nachdem er sich drei Jahre zuvor gewissenhaft um Lindas Anteil am Erbe gekümmert hatte, konnte er sich seitdem zu weiteren Anlagegeschäften nicht aufraffen. Er legte dem Anlageberater seinen Plan dar, und im Anschluss lachte der Berater. Sein Lachen wurde heller und dunkler und dann wieder heller, ein Phänomen, das man in der Physik Dopplereffekt nennt und das auch durch heftiges Kopfschütteln beim Lachen verursacht werden konnte. Kjell hörte ihn auf seiner Computertastatur herumtippen. Der Berater staunte, denn der Wert der Immobilie schien viel höher zu liegen als der Kaufpreis des ganzen Geschäfts. Das Lachen erstarb.
Per lieferte seinen mündlichen Vorbericht während des Mittagessens in der Kantine ab. Er hatte mit der Wohnungstür begonnen. Das Schloss war ausgetauscht worden. Die Wohnungsverwaltung hatte sich nicht vertan. Sie verwendete eine andere Zylindermarke. Per hatte daraufhin untersucht, wie das Austauschen des Schlosses möglich gewesen war. Die Tür wies Spuren eines professionellen Einbruchs auf, also fast gar keine.
Kjell probierte den Weihnachtsmost. »Also genau wie bei Sahlins Wohnungstür. Aber dieses Mal musst du doch irgendetwas finden können.«
»Hab ich ja. Ich weiß, wie er reingekommen ist.« Per wollte erst den Bissen auskosten, den er gerade im Mund hatte, und Kjells Ungeduld. »Schlagschlüssel. So hat er es bei Sahlin auch gemacht.«
»Und da findest du nichts?«
»Diesmal ist das Schloss billigste Ware. Er musste zweimal schlagen.«
»Wie funktioniert das überhaupt?«
»Du musst beim Fräsen des Rohlings die Maschine nur auf neun stellen.«
»Ich fräse kaum.«
»Auf die stärkste Stufe. Dann werden die Einschnitte am tiefsten ausgefräst. Und am Anschlag fräst du auch noch etwas weg, damit du den Schlüssel etwas tiefer hineinstecken kannst. Dadurch drückt der Schlüssel alle Stifte leicht hinein, hat also Kontakt. Dann schlägst du mit einem Schraubenzieher auf den Schlüssel, und die Kraft wirkt auf die Stifte fort. Das ist wie beim Crocket, wo man auf eine Kugel tritt und dagegenschlägt, und dann rollt die Nebenkugel weg. Sie springen so weit, wie es möglich ist, und in diesem Moment drehst du den Schlüssel. Normalerweise hinterlässt der Schlag außen am Schloss Spuren. Aber der Kerl war sehr geschickt und hat außerdem einen Gummipuffer darübergestülpt. Aber diesmal war das Schloss nicht so präzise, er musste noch einmal nachschlagen. Und dabei hat der Gummiring Abrieb hinterlassen.«
»Also ist er vom Fach?«
»Nicht unbedingt. Bumping key kann jeder in drei Minuten lernen, aber er ist Großmeister. Bei einem normalen Einbruch hätte die Spurensicherung den Abrieb nie entdeckt. Das wäre viel zu aufwändig. Ich wollte selbst erst aufgeben, aber dann behauptete Lasse, dass es heute schon wieder Weihnachtsschinken gibt. Und da habe ich noch ein bisschen weitergemacht.«
Per grinste.
Die weiteren Spuren in der Wohnung waren rar. Henning stattete der Sanierungsfirma gerade einen Besuch ab, um von allen Handwerkern, die in der Wohnung gearbeitet hatten, Fingerabdrücke und DNA-Proben zu nehmen. Es erwies sich doch noch als Glücksfall, dass die letzte Mieterin die Wohnung so akribisch gescheuert hatte.
33
Nura stand lässig gegen den Himmel gelehnt und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Pinkel nicht auf eine Mine«, rief sie auf Englisch.
Linda zog sich die Hose wieder hoch und ging zum Wagen zurück. Sie parkten mitten in der Wüste auf der Straße zwischen Giza und der Fajum-Oase. Linda hatte sie gebeten, hier mitten im Nichts anzuhalten. Sie machte zwei Skizzen von Nura, die sie bewunderte, und zwar alles an ihr. Ihre Familie war in der Müllbeseitigungsbranche, die Männer zogen zerlumpt durch die engen Gassen und pickten Müll auf. Müllfahrzeuge gab es in Kairo nur ganz wenige, Plastikmüll hingegen viel. Hier war es nämlich so, dass die Christen den Müll wegräumten und die Muslime ihnen dabei zusahen. Linda hatte geglaubt, dass Sofi sie auf den Arm nehmen wollte. Nura führte ein kleines Reisebüro und war als Lyrikerin im Land sehr bekannt, wobei in Ägypten jeder Lyriker im ganzen Land bekannt war.
»Und wenn einer gar keine Gedichte
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