Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der zweite Tod

Der zweite Tod

Titel: Der zweite Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
Vom Netzwerk:
berief, waren all ihre Freundschaften in der Polizei im selben Moment gekappt worden. Mit einer ihr heute merkwürdig erscheinenden Vorstellung von Kjell als Sagengestalt hatte sie ihren ersten Tag bei der Gruppe angetreten. Ohne Uniform zu arbeiten, hatte sich komisch angefühlt, und sie hatte sich alles strenger und professioneller vorgestellt. Da Kjell sich seine Mitarbeiter selbst aussuchte und meist auch seine Fälle, herrschte in der Gruppe eine freundschaftliche Stimmung, die Sofi in den ersten Tagen in Verwirrung gestürzt hatte. Natürlich wusste sie, dass über sie genauso wie über den Rest der Gruppe geredet wurde. Irgendjemand hatte sogar das Gerücht in Umlauf gebracht, dass Frauen sie anzogen.
    William kam eine halbe Stunde zu spät. Wenn man durch sein borstiges Haar führe, würde sich eine Wolke aus Staub und Sand bilden, dachte Sofi bei seinem Anblick. Es war kurz und blond, begann aber an einigen Stellen bereits zu ergrauen. Aus der Einsatzakte wusste Sofi, dass er vierunddreißig Jahre alt war. Noch während seines Studiums der Arabistik hatte sich William mit einer syrischen Christin verlobt und ein Jahr mit ihr in Damaskus gelebt. Aber geheiratet hatten die beiden nie. Seit zwei Jahren rekrutierte die Säpo auch Akademiker. Sofi nahm an, dass er für die Säpo regelmäßig Berichte über die Entwicklung des Extremismus und des Terrorismus verfasste. Daneben arbeitete er als Korrespondent für eine schwedische und eine britische Zeitung.
    William war gut ausgebildet worden, wenn auch in einem Crashprogramm. Für ihn war die Sache klar. Sie würden hinfahren und klingeln. Diese Taktik schien gut zu ihm zu passen. Seine Kleidung sah aus, als wäre er von Damaskus zu Fuß hierhergelaufen. Sofi sah ein, dass ihnen die Umstände keine andere Wahl ließen.

32
    Nach dem Gespräch mit Elsa Lumholt fuhr Kjell ins Präsidium. Er musste sich langsam auf Mari Svahn vorbereiten, die am Nachmittag erwartet wurde. Er wollte nicht ins Verhör gehen, ohne sich vorher die theoretischen Zusammenhänge bewusst gemacht zu haben. Die Lage verlangte nach einer detailreichen Großgraphik auf der Tafel im Besprechungsraum. Linda fand allen Ernstes, dass er seine Konstruktionen einmal ausstellen sollte. In New York gebe es Künstler, deren Werke riesige Zahlendiagramme waren. Er musste ihr insoweit Recht geben, als es wunderschön aussah, wenn er die Tafel vollgezeichnet hatte.
    Davor hatte er jedoch noch etwas anderes zu erledigen und begab sich in den Nebentrakt des Polizeikomplexes. Nach kurzem Suchen fand er das Büro von Snæfríður Jómundardóttir im Dezernat 12 für Wirtschaftskriminalität. Er klopfte, öffnete die Tür einen Spalt weit und steckte den Kopf hinein. »Snæfríður?«
    Sie lachte lange und nickte. Snæfríður war eine typische Stupsnasenisländerin mit großen Augen. »Es heißt Snaifrithürrr mit th wie im Englischen, aber du kannst ›Schneefräse‹ sagen, wie die anderen hier. Oder Lilja. Das ist mein zweiter Vorname.«
    »Dann Lilja.«
    »Ókei.«
    Kjell überlegte, ob der Spitzname »Schneefräse« am Ende gar nicht von ihrem Namen abgeleitet war, sondern eher von ihrer Art zu lachen.
    Wirtschaftlich stand das Antiquariat viel besser da, als Kjell erwartet hatte. Die jahrelange Jammerei von Wessén hatte ihn mit der Vorstellung mariniert, dass es in dieser Branche nichts zu verdienen gab. Snæfríður bestätigte, was man auch aus den Exlibris in all den Büchern wissen konnte. Wessén kaufte sein Sortiment en gros von Witwen, die nach angemessener Trauerzeit von einem Tag bis zu neun Monaten die Privatbibliothek des verstorbenen Gatten als Gesamtpaket anboten und mit dem Erlös auf Weltreise gingen. Wenn Wessén die Bücher dann einzeln weiterverkaufte, machte er einen bald schon unanständigen Gewinn. Er profitierte auch davon, dass die Anbieter den Wert einzelner Bücher oft verkannten. Das Antiquariat stand also gar nicht schlecht da. Man konnte freilich nicht reich damit werden. Wenn man aber die Immobilie besaß und keine Miete zahlen musste, lebte man gut. Vor allem aber lebte man glücklich und nicht allzu unbequem.
    Zurück im Büro rief er Wessén an. Er wollte es zum Abschluss bringen, da er nicht wusste, wie viel Zeit ihm in den nächsten Tagen bleiben würde. Wessén nannte seinen Preis. Der umfasste alles von der Immobilie bis zum Wechselgeld in der Kasse. Wesséns Vorstellung orientierte sich eher daran, wie viel er für den Rest seiner Tage noch benötigte. Das war so

Weitere Kostenlose Bücher