Der zweite Tod
hatten William. Und mich haben sie auch bekommen. Ich habe das Geld zurückbringen müssen.« Dann folgte eine einminütige Stille. Sie atmete schwer. »Ich habe den Bericht schon geschrieben. Kann ich ein paar Tage frei nehmen?«
Er nickte. Neben ihm begann schon der Drucker zu surren. Kjell schnappte sich die beiden Blätter. »Ist noch mehr passiert? Du siehst nicht gut aus.«
»Ich bin nur niedergeschlagen. Bekommen wir Ärger wegen des Geldes?«
Er schüttelte den Kopf. »Wir haben die Scheine schon identifiziert. Das Geld kann uns egal sein. Mach dir keine Sorgen. Ihr wart gut!«
Sie nickte nur.
»Wie haben sie dich denn … bekommen?«
»Das steht da drin. Sie haben mich verwechselt, ihren Irrtum aber bemerkt. Ich glaube, sie hielten mich für Mari.«
»Mari?«
»Ein Schwede hat sie benachrichtigt, dass Mari nach Kairo kommt.« Sie zuckte mit den Schultern, um anzudeuten, dass sie auch nicht mehr verstand. »Kann ich nach Hause gehen?«
»Ich fahre dich, ja? Oder willst du in Gesellschaft sein? Bei mir steigt gerade eine Familienfeier.«
Sie schüttelte den Kopf.
46
Sonntag, 9. Dezember
Es war Sonntag, und die Luciawoche begann für Kjell ganz hervorragend, obwohl er vor Sorge um Sofi kaum geschlafen hatte. Am frühen Abend erhielt er einen Anruf vom Pathologen Hans Ekeblad. Der Grund dafür war Ida. Ihr war von Patrik Nygren nichts geblieben als der Wohnungsschlüssel, an dem Ida sich längst abreagiert hatte. Er machte sich gleich auf den Weg.
Kjell hatte sich immer davor gefürchtet, dass sein Privatleben einer chaotischen Ermittlung glich, dass viele Fäden offen dalagen, und er nicht wusste, wie er die Enden miteinander verknüpfen sollte. Nun war genau das eingetreten, doch er fühlte sich in dieser Lage gar nicht so unbehaglich.
An einer roten Ampel rief er Snæfríður an. Sie war ein wenig erstaunt darüber, an einem Sonntag angerufen und gefragt zu werden, wie man bei ihr zu Hause Isländerpullis nannte. Einfach nur »Wollpulli«, lopapeysa. Irgendwo musste es ja ein Ende geben, schoss es Kjell durch den Kopf, und das sagte er auch, irgendwo mussten alle Fäden doch zusammenlaufen. Na ja, fand Snæfríður, ihre Familie habe sich zwar schon vor Generationen vom Stricken und vom Schaf im Allgemeinen zurückgezogen, aber sie wisse auf Anhieb nicht, wo bei einem Pulli alle Fäden zusammenlaufen sollten.
»Die sind doch wie ein Netz gemacht«, spekulierte sie. »Es gibt keinen Anfang und kein Ende.«
Kjell dankte und legte auf. Gerade war sein Bild von Petersson zusammengebrochen, in dem er wie ein Puppenspieler an den Fäden zog. Es wurde grün, und Kjell drückte aufs Gas.
Über Idas entspanntem Gesicht lag Freude. Sie hatte gestern bis spät am Abend arbeiten müssen, bis weit in den Nachmittag hinein geschlafen und seitdem im Bett gelegen und nichts getan. Sie trug nur ein Nachthemd und war bettwarm. Das waren ideale Voraussetzungen.
»Patrik kannst du jetzt für immer vergessen.«
Ida grinste unbeherrscht und half ihm im Flur aus dem Mantel. Ihre Jacke lag noch auf der Kommode, auf dem Küchentisch war eine volle Einkaufstüte umgekippt. Er nahm am Tisch Platz. Ida fasste in die Tüte, als gälte es, ein großes Weihnachtsgeschenk auszupacken. Doch sie holte eine Flasche Rotwein heraus. Er freute sich, dass sie den Wein nur für ihre gemeinsamen Stunden gekauft hatte. Und er freute sich auch, dass er kein Malzbier mehr trinken musste. Sie begann, die Flasche zu entkorken, und leerte den Rest der Tüte. Sie hatte frisches Brot und eingelegtes Gemüse gekauft.
Beim Essen erzählte sie eine Reihe apokalyptischer Passagen aus der Hölle einer Hilfsverkäuferin in der Vorweihnachtszeit. »Die Männer sind so gestresst, dass sie nicht mal mehr Zeit haben, mir an den Hintern zu fassen oder wenigstens beim Anstehen an der Kasse mal draufzuschauen.«
Er verstand nicht, warum eine juristische und medizinische Fachbuchhandlung vor Weihnachten mehr verkaufte als sonst. Ida erklärte ihm, dass alle Angestellten aus der Gegend um den Sveavägen dort Bücher bestellten, die sie zu Weihnachten verschenken wollten, und sie dann nach Büroschluss dort abholten. Ida war die Person, die die Bestellungen heraussuchen und stapeln musste. Und es musste auch jemanden geben, der alles liebevoll in Weihnachtspapier einwickelte, kassierte und dabei nett lächelte und fröhliche Weihnachten wünschte.
Da fiel ihm ein, dass ja gestern Idas letzter Arbeitstag gewesen war. Das würde sie freuen.
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