Der zweite Tod
Er hoffte es.
Barbro seufzte, als sie das Telefon in der Küche läuten hörte. Es musste die Reichspolizeileitung sein. Sanft schob sie Emelie von sich, die heute in ihrem Bett schlafen durfte, und schlich durch die dunkle Wohnung. Nach dem Abheben erfuhr sie, dass ein Gespräch aus Madrid zu vermitteln war. Comisario Principal Izquierdo von der Brigade für Wirtschafts- und Bandenkriminalität glänzte mit feinem Englisch und bat sie, ihn Alfonso zu nennen. Alfonso und seine Kollegen hatten soeben das Verhör mit dem Kontaktmann beendet.
»Ihr glaubt, dass sich Geld in der Tasche befunden hat?«, fragte er.
»Eine ganze Menge sogar.«
»Nun, das kann nicht sein. Fernando Alvarez behauptet, es habe sich um eine recht kleine Tasche gehandelt, in der sich ein Schlüssel und Dokumente befunden haben sollen.«
»Tatsächlich?«
»Eure Vermutung ist daran schuld, dass sich die Vernehmung so lange hingezogen hat. Erst glaubten wir Alvarez nicht, aber nun sind wir uns sicher, dass er die Wahrheit sagt.«
»Und wer hat die Tasche abgeholt?«
»Ein Mann mit sehr kurzen dunklen Haaren. Wegen der hellen Augen glaubt Alvarez, dass er aus dem Norden kommen könnte, obwohl es auch hier Helläugige gibt und er für einen Schweden ungewöhnlich klein gewesen sein soll.«
Barbro dachte an Annie von Krusenstjerna. »Wie kurz waren seine Haare?«
»Sehr kurz.«
»Und was trug er?«
»Eine rote Winterjacke.«
»Aber sicher ein Europäer? Kein Orientale?«
»Dem Akzent nach aus Holland, Deutschland oder Skandinavien. Er sprach Englisch, aber Alvarez hält es nicht für seine Muttersprache.«
»Und wann war er da?«
»Am Montag, am späten Nachmittag.«
So früh, dachte Barbro. Das war am Tag, nachdem sie das Passwort entziffert hatten. Sie hatte doch Recht gehabt. Die Polizei hätte sofort hinfahren sollen.
Alfonso erzählte, dass Alvarez unwissend sei. Er betreibe ein Güterlager, in dem hauptsächlich Möbel und Autos gelagert wurden, und habe diesen Dienst für einen Geschäftspartner von der Südküste erledigt. Solche bezahlten Gefälligkeiten kamen nach seinen Angaben nicht selten vor. Der nordeuropäische Mann sei mit dem Inhalt der Tasche unzufrieden gewesen. Als Alvarez erwiderte, dass er mit dem Inhalt nichts zu tun habe, solle sich eine kurze und hitzige Diskussion ereignet haben.
»Und sonst wisst ihr nichts über Alvarez und die Herkunft der Tasche?«
»Mehr haben wir noch nicht herausgefunden, aber zu der Gefälligkeit gehörte noch etwas anderes. Alvarez sollte bereits am 26. November ein Paket aus Algier nach Stockholm weitersenden und dazu einen bestimmten Absender verwenden, an den er sich nicht mehr erinnern kann. Den Empfänger hingegen weiß er noch, ein gewisser Carl Petersson.«
Später war Ida nur schwer noch einmal dazu zu bringen, das Haus zu verlassen. Draußen breitete sich in ihnen das Gefühl aus, dass die menschenleere Straße ihnen gehörte. Der Schnee war pappig und blieb am Saum der Hose kleben. Er verschluckte alle störenden Geräusche der Stadt. Idas Atem klang beim Gehen intim.
Vor dem Antiquariat zog er den Schlüssel aus der Tasche, den er seit einigen Tagen immer bei sich trug.
Ida stutzte. »Du musst ja ein guter Kunde sein!«
»Ich bin bei weitem der beste Kunde«, gab er zur Antwort und genoss es, dass Ida einmal die Unwissendere von ihnen war.
Sie traten in den dunklen Laden und tasteten sich voran. Kjell hatte keine Ahnung, wo sich der Lichtschalter befand. Ida stellte keine Fragen. Sie tasteten sich durch die dunklen Räume und warfen dabei zwei Büchertürme um. Den Schalter fanden sie erst nach einigen Minuten in dem mit Bücherstapeln zugestellten Durchgang zwischen Lagerraum und Hinterzimmer.
Im Hinterzimmer füllte er Wasser in den Kocher und nahm zwei Teebeutel aus der Packung. Er war von einer Malzbierhölle in eine Früchteteehölle geraten. Von Ida war nichts zu hören, sie stapelte die umgefallenen Bücher zu neuen Türmen auf. Er stellte die beiden dampfenden Tassen auf den Tisch, wartete geduldig und entdeckte dabei eine Nische, in der man Malzbierkisten stapeln könnte. Nach zehn Minuten schaute er neugierig um die Ecke und reichte ihr eine Tasse.
»Schau, er hat sogar Agrippa von Nettesheim.« Sie setzte sich zu ihm und nippte an ihrem Tee. »Mm, Früchtetee, mag ich fast so gern wie Malzbier. Bist du oft hier? In der Nacht, meine ich.«
»Zum ersten Mal.« Er sah sich um. Das Zimmer hatte dreiundzwanzig Quadratmeter. Wenn man es renovierte,
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