Der Zweite Tod
nal der Handelsbank. Sofi ahnte den Trick und war hingerissen. Auf dem Server lagen keine Daten, sondern nur ein Programm, das woanders hinführte. Sie taufte das Programm spontan »Fliegen der Tep pich«.
Auf dem Chip war eine vierstellige Zahl gespeichert. Das verhinderte, dass die Karte kopiert werden konnte. Die Zahl wanderte nur durch das kurze Kabel bis zum Computer und wurde nirgendwohin verschickt. Selbst wenn jemand an das eigentliche Passwort gelangte, ohne die Chipkarte, die man nicht kopieren konnte, hatte man keine Chance. Wer auch immer sich das ausgedacht hatte, er hatte es sich vom Online-Banking abge schaut.
Den Chip konnte sie bestimmt auf technischem Weg knacken, aber nicht das eigentliche Passwort. Es war nicht auf dem Chip gespeichert, sondern irgendwo in der Ferne.
Inzwischen wusste sie, dass es 45 Stellen lang war.
Genau 45 Stellen.
Die Dunkelheit kam früh. Um fünf Uhr fanden sich alle Mitglieder der Ermittlungsgruppe zur Abendbesprechung ein. Barbro hatte beide Marias angetroffen und Fingerabdrücke und Speichelpro ben genommen. Beide Frauen wa ren zwischen zwan zig und dreißig Jahre alt und hatten im letzten halben Jahr ihren Vater verloren. Und beide hatten angegeben, den Namen Carl Petersson noch nie gehört zu haben. Da man die DNA von Maria in der Wohnung identifiziert hatte, mussten nur noch die Pro ben mit ei nander ver glichen werden.
»Wir haben von nun an zwei Prioritäten«, sagte Kjell. »Maria und das Passwort. Die meisten Ergebnisse kommen morgen oder übermorgen. Bis dahin versuchen wir, mit beiden Spuren voranzukommen. Heute Abend seid ihr meine Gäste.« Er verstummte und putzte sich die Nase.
Linda pendelte zwischen mehreren Tischen hin und her. Am Ende gab sie auf und setzte sich still zu ihren Freunden. Am anderen Tisch saß Kjell mit seinen Kollegen und mehreren Bekannten. Bar bro, die sonst gerne Unter haltun gen in Gang hielt und ausgiebig lachte, saß still und nachdenklich vor einem grünen Getränk. Sie hatte bisher von Linda nur einige Skizzen und Zeich nun gen gekannt, Lindas richtige Bilder sah sie an die sem Abend zum erst en Mal. Barbro war der einzige Mensch, der Linda mit schonungsloser Offenheit begegnete und sich nicht von ihrem zierlichen Äußeren und ihrer schusseligen Art beeindrucken ließ. Das musste der Grund sein, weshalb Linda die Fahrstunden mit ihr so liebte. Barbro war neben Kjell der einzige Mensch, zu dem Linda von sich aus Kontakt suchte.
Barbro blickte auf das Herz der Ausstellung. »Vivian« hieß das Bild. Es zeigte ein verl etzl iches und verl etzt es Mädchen in hochge schlossener Jacke. Nur ein blauer Hemd kragen ragte hervor. Sie hatte sich mit unsicherem Stand auf den Felsen von Längholmen aufgestellt. Im Hintergrund sah man das graue Wasser des Mälaren, das der Herbstwind an den Strand trieb, das flatternde Segel eines scheinbar steuerlos im Hintergrund treibenden Segelboots und eine davonfahrende Fähre voller Menschen. Obwohl Kjell sich stets bemüht hatte, ihr eine ganz und gar unzynische Haltung vorzuleben, war aus ihr eine kleine Meis te rin im Zitie ren von Klischees geworden. Linda konnte eine am Horizont verschwindende Fähre voll winkender Menschen malen, als hätte es das nie zuvor gegeben. Bei aller Ernsthaftigkeit konnte sie mit den Augen zwinkern wie keine andere. Das schätzte er am meisten an ihr.
Linda hatte lange mit sich gerungen, ob sie dieses Bild ausstellen sollte, ob sie das Mädchen zur Schau stellen durfte. »Bilder sind doch zum Anschauen da«, hatte Vivian dazu gesagt.
»Gefällt es dir?«, wollte Kjell von Barbro wissen.
»Sag mal, ist das eigentl ich dein Hemd, das sie da auf dem Bild trägt? Das ist doch das blaue.«
11
Seine Maßlosigkeit war so groß gewesen, hatte alles gesprengt. Maßlos in allem. Seine Zärtlichkeit war maßlos gewesen und seine Grausamkeit. Mit beidem hatte er sie verschlungen.
Der Wunsch, sich von ihm loszulösen, war langsam gewachsen. Losgelöst hatte sie sich nicht, sie hatte getötet. Und ihn für al les ver ant wort lich gemacht, was schlechter ge wesen war als früher. Jetzt erkannte sie ihre Ungerechtigkeit. Jetzt, da Carl ihr schon so fehlte, da sah sie, was er ihr gegeben hatte, jetzt, da all das Schlechte vergolten war. Dieses Gefühl begann, alle anderen Gefühle zu überdecken.
Carl hatte nie gequält. Qual war, einen schattigen Platz in seiner lichten Welt einzunehmen, oder schlimmer, diese Welt zu verlieren. Jetzt war diese Welt verpufft, mit ihrem
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