Der Zweite Tod
ande ren Nachbarn hat ten davon nichts bemerkt. Jetzt ergab sich die Frage, ob die Skinheads wirklich im Treppenhaus herumlielen oder nur in Annies Kopf. In ihrer Anlängerzeit war Barbro einmal auf einen freundlichen alten Herrn hereingefallen, der nicht mehr zwischen dem unterscheiden konnte, was er wirklich erlebt und was er im Fernsehen gesehen hatte. »Was sind das denn für Leute, und was tun sie?«
»Ganz jung sind sie nicht mehr. Sie waren immer zu dritt. Ihre Haare waren ganz kurz. Und sie trugen Lederjacken. Wie man es im Fernsehen immer sieht.«
»Aha«, sagte Barbro. Annie litt an altersbedingten Assoziationen. »Und das waren richtige Skinheads? Neonazis?«
»Richtige Nazis waren das natürlich nicht. Solche hätte man frü her ver prü gelt.« Annie von Krusenstj er na blickte zum Fenster hinaus. »Der Führer hat uns ja alle betrogen«, seufzte sie aus hei terem Him mel. Ihre Hand zit terte.
Barbro musste sich zusammenreißen, um nicht zu lachen, und trank von ihrem Kaffee. »Wer hätte das ahnen können!«, bemerkte sie dann, um eine Reaktion zu zeigen.
»Was denn?« Annie schien zurück zu sein.
»Dass der Führer ein Betrüger ist.«
»Welcher Führer?« Die Bemerkung hatte sie irritiert. »Möchtest du ein Brot essen? Ich habe es selbst gebacken.«
Barbro nahm gerne an. Die Küche war so sauber, dass sie sich hier sogar den Blind darm he rausneh men ließe. An der Wand hing eine alte Fotografie. Annie bemerkte Barbros Interesse.
»Das war meine Urgroßmutter, 1886.«
Urgroßmutter balancierte einen weißen Hut mit einem halben Meter Durchmesser auf ihrem Kopf und saß als Beifahrerin mit ih rer Be glei te rin in ei nem Au to skoo ter. Die bei den wa ren kurz davor, von ei nem al lein fah renden Herrn mit Sommerstroh hut unredlich gerammt zu werden. Der glattrasierte Mann war ein Hallodri, das konnte man auf Anhieb erkennen. Ehrbare Männer trugen da mals dicke Ba cken- und Kinnbärte. Bar bro hätte nicht gedacht, dass es schon so lange Autoskooter gab.
»Was haben diese drei Männer denn gemacht?«
Der Sittich flatterte auf den Küchentisch und bediente sich von dem Brot auf Annies Teller. Annie nannte den Sittich Olof, weil ihm eine Kopffeder ins Gesicht ragte. Das erklärte auch, warum er Barbro so klassenfeindlich beäugte.
»Sie standen hier im Gang bei der Treppe. Ich habe sie durch den Spion beobachtet. Sie kamen einmal mitt en am Tag und ein mal nachts.«
»Wann war das?«
»Das ist bestimmt schon zwei Wochen her.«
31
Ein schiefergrauer Vollbart rahmte das freundliche Lächeln des Botschafters ein. Sofi hatte gestutzt, wie widerstandslos er ihr seine Hilfe angeboten hatte. Sie saß in mit ten von schwedi schen Designermöbeln aus hellem Holz und blickte zum Fenster hinaus. Die Botschaft lag in der Parallelstraße zu Nuras Haus direkt am Nil. Jenseits des Flusses lief die Corni che, die lange Ufer promena de. Dort sa ßen abends heim liche Paare und hielten Händchen. Früher war Sofi gerne dort gewesen, wenn sie allein sein wollte. Einmal war ein französisches Pärchen dort gesessen und hatte ein wenig gekuschelt, während hundert ägyptische Paare fasziniert hingestarrt und gekichert hatten.
Die Einrichtung wirkte grotesk, wenn man die Häuserfront von der Corniche aus betrachtete, als wäre ein Glutwind über das Viertel hinweggefegt und hätte nur das Mauerwerk übriggelassen. Und natürlich das Mobiliar der schwedischen Botschaft, das die Py ra miden überdau ern würde.
Sofi saß seit neun Uhr am Schreibtisch. Nach einem halben Jahr bei der Taktischen stand ihr erster eigener Einsatz bevor. Sie verspürte leichtes Heimweh nach Kjell, aber auch Freude, ihn los zu sein. Als er sie im Frühsommer unerwartet in seine Gruppe berief, waren all ihre Freundschaften in der Polizei im selben Moment gekappt worden. Mit einer ihr heute merkwürdig erschei nenden Vorstel lung von Kjell als Sagen gestalt hatte sie ihren ersten Tag bei der Gruppe angetreten. Ohne Uniform zu arbeiten, hatte sich komisch angefühlt, und sie hatte sich alles strenger und professioneller vorgestellt. Da Kjell sich seine Mitarbeiter selbst aussuchte und meist auch seine Fälle, herrschte in der Gruppe eine freundschaftliche Stimmung, die Sofi in den ersten Ta gen in Ver wir rung ge stürzt hatte. Natür lich wusste sie, dass über sie genauso wie über den Rest der Gruppe geredet wurde. Irgendj emand hatte sogar das Gerücht in Uml auf gebracht, dass Frauen sie anzogen.
Will iam kam eine halbe Stunde
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