Der Zweite Tod
der Västmannagatan 84?« »Ja.«
Es war wie das Abhaken einer Liste. Solche Verhöre mündeten in ein Geständnis oder eine Katastrophe.
»Gut.« Kjell lehnte sich zurück. »Wir wart en nun auf zwei Damen. Die eine ist Ruth Liljedahl, sie ist die Anklägerin. Die An klä gerin leitet und kont rol liert un sere Arbeit.«
»Nebenbei klagt sie auch an«, fügte Barbro noch hinzu und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
»Dies ist ein erstes Vorgespräch nach Paragraph 24/8 des Prozessrechts«, fuhr Kjell fort. »Danach kann es sein, dass die Anklägerin dich zur Verdächtigen er klärt. Die andere Dame ist Anita Möllerfors. Sie wurde dir als Rechtsbeistand zugewiesen. Sie wird bei dem Gespräch dabei sein und dich im Anschluss beraten.«
Mari nickte und betrachtete ihre Hände, die auf ihren Schenkeln viel Platz hatten.
Die Unterbrechung dauerte eine halbe Stunde. Kjell besprach sich mit Ruth, ei ner angeneh men An klägerin, die sich so gut wie nie in die Ermittlung einmischte. Ihr blondes, feines Haar kringelte sich zu Löckchen. Die Wölbungen ihres Gesichts wurden nicht vom Schädel vorgegeben, sondern von den Pölsterchen darüber. Bei ihrem Anblick dachte Kjell oft an Teigkneten. Ihre Passivität hatte ihn zu Beginn ihrer Zusammenarbeit vor sieben Jahren beunruhigt. Aber es gab immer einen Punkt in einer Ermittlung, an dem die zweifache Mutter und Reihenhausbesitzerin aus Täby wie ein Pendelzug in Fahrt kam. Madeleine war auch Juristin gewesen. Glaubte man ihr, so lag das Ta lent ei nes Ju risten ausschließ lich da rin, auf den richtigen Moment warten zu können und ihn nicht zu verpassen. Ruth beherrschte das.
Schließl ich versammelt en sich wieder alle im Verhörraum. Barbro bediente das Tonband, das schon lange kein Band mehr war, sondern eine Festplatte, die in die Tischplatte eingelassen war. Seitdem durfte Henning nur noch Verhöre führen, wenn er vorher versprach, nicht mit der Faust auf den Tisch zu schlagen.
»Hast du irgendwelche Quitl ungen oder Belege, aus denen hervorgeht, wie lange du im Ausland warst?«
Mari schnappte nach Luft. »Ich bin mir nicht sicher. Einige habe ich bestimmt noch.«
Viele Verdächt ige legt en sich für ein Verhör Szenarien zurecht, die komplett oder zum Teil von der Wirklichkeit abwichen. Mit seinen Fragen hin und her zu springen, erwies sich als gute Taktik. Als spielte man ein schnelles Computerspiel mit einer alten Grafikkarte. Die Verhörten konnten ihre Version nicht so schnell drehen und wenden oder durch Details komplettieren, die sie zu erfinden vergessen hatten. Das Bild begann zu ruckeln. Und dann schnappte die Kjell-Cederström-Falle zu, wie Barbro am Ende solcher Verhöre gerne konstatierte.
»Wann hast du Carl Petersson kennengelernt und wie?«
Sie biss sich auf die Lippe.
»Universitäts bib liothek. Im Lesesaal.« Sie verstummte und blickte in die Runde. Alle sahen sie erwartungsvoll an. Da begriff sie, dass sie fortlahren sollte. Mari begann, ihre rechte Hand mit der linken zu massieren. »Ich habe dort immer gesessen, und Carl auch. Wenn man etwas essen oder trinken möchte, geht man hinaus in den Flur zu den Schränken. Das war im Frühling letzten Jahres. Wir haben uns manchmal unterhalten.«
»Schön!«, fand Kjell. »Das geht doch ganz gut. Erzähl uns bitte, wie ihr euch richtig kennengelernt habt, und was das für eine Ver bindung war.«
Mari kratzte sich am Haaransatz im Nacken. Sie schluckte und wusste nicht, wie sie beginnen sollte. Nach einigen Sekunden fing sie an zu reden. »Wir haben uns sehr gut verstanden und einander viel erzählt. Ich erzählte ihm von meinem Vater.«
»Stimmt es, dass eure finanzielle Lage sehr ernst war?«
»Papa konnte nicht mehr arbeit en. Also hat er kein Geld mehr verdient. Wir haben zwar etwas von der Versicherung bekommen, aber das war viel zu wenig. Und dann hat auch seine Behandlung so viel gekostet.« Sie war durch die Sätze gestürmt und verstummte jäh. Kjell nickte aufmunternd.
»Ich habe Carl erzählt, dass ich mein Studium wohl abbrechen müsse. Das wollte er nicht. Er fände das schade, hat er gesagt. Ich habe ihm viel über meine Abschlussarbeit erzählt. Ich hatte gerade da mit angefan gen.«
»Die kennen wir.«
Mari lächelte unsicher. Sie war offensichtlich davon überwältigte, wie viel die Polizei über sie herausgelunden hatte. Sie setzte ihre Erzähl ung nicht fort. Jetzt kam der entscheidende Punkt.
»Carl hat dir also geholfen«, kam Kjell ihr zu Hilfe. »Er hat dir
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